Hinderungsgrund: eingestelltes Strafverfahren genügt nicht


Das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden weist die Kantonspolizei an, abgewiesene Bewilligungsgesuche zu bearbeiten. Eine Übertretung und ein eingestelltes Strafverfahren stellen in casu keinen Hinderungsgrund dar.

Im Jahr 2021 hat der spätere Beschwerdeführer bei der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden mehrere Waffenerwerbsscheine bzw. Ausnahmebewilligungen für zwei Granatwerfer sowie verschiedene Feuerwaffen beantragt. Die Kantonspolizei wies diese Gesuche mit der Begründung ab, dass beim Gesuchsteller eine latente gemeingefährliche Gesinnung und damit ein Hinderungsgrund im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. d WG vorliege.

Nachdem das kantonale Departement Inneres und Sicherheit im Mai 2023 den dagegen erhobenen Rekurs abgelehnt hat, hiess das Obergericht des Kantons Appenzell Ausserrhoden mit jüngst publiziertem Urteil O4V 23 10 vom 2. November 2023 die dagegen erhobene Beschwerde gut. In E. 3.1 wird die (letztlich nicht überzeugende) Begründung der Vorinstanz offenbart:

Die Vorinstanz stützt sich im angefochtenen Rekursentscheid ebenfalls primär auf den Hinderungsgrund von Art. 8 Abs. 2 lit. d WG. Es sei erstellt, dass der Beschwerdeführer im August 2021 wegen mehrfacher Übertretung des Waffengesetzes zu einer Busse verurteilt worden sei. Das weitere Strafverfahren betreffend Widerhandlung gegen das Waffengesetz gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a WG sei rechtskräftig eingestellt worden, da der Beschwerdeführer die Waffe nicht selbst verkauft habe. Das Strafverfahren wegen Drohung und übler Nachrede sei zufolge Rückzugs des Strafantrags ebenfalls rechtskräftig eingestellt worden. Dabei gelte es jedoch zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer die genannten Handlungen und Aussagen im Grundsatz nicht bestreite. Auch das Untersuchungsamt Gossau habe ihn mit der Einstellungsverfügung auf die Verantwortung als Inhaber der Waffenhandelsbewilligung und Inhaber der Einzelunternehmung [Firma] hingewiesen. Mit Blick auf die besondere Gefährlichkeit der vom Waffengesetz erfassten Gegenstände erscheine es ausserdem sachgerecht zu verlangen, dass Personen, die derartige Gegenstände besitzen wollten, sich als besonders zuverlässig erwiesen. Es sei der verfügenden Behörde darin zuzustimmen, dass die Handlungen, welche eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekunden sollten, nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zwingend Straftatbestände erfüllen müssten. Der Beschwerdeführer habe gemäss Aktenlage Drohungen ausgesprochen und hierbei unter anderem Körperliche Gewalt angedroht, was von ihm nicht bestritten werde. Sodann habe er die Bestimmungen der Waffengesetzgebung nicht eingehalten bzw. seine Verantwortung als Inhaber eines entsprechenden Waffengeschäfts nicht wahrgenommen, indem ere Waffe an eine Person ohne Waffenerwerbsschein verkauft worden sei. Obschon diese Handlungen zu keiner strafrechtlichen Verurteilung geführt hätten, seien sie für die Bewilligung der diversen Waffenerwerbsgesuche zu berücksichtigen. In einer Gesamtbetrachtung und unter Berücksichtigung der Gesetzgebung (Art. 8 Abs. 2 WG), deren präventiven Charakter, der Lehre sowie der zitierten Rechtsprechung könne infolge des Verhaltens des Beschwerdeführers im Hinblick auf den Waffenerwerb von Waffen mit einem erhöhten Gefährdungspotential ein Hinderungsgrund nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Damit habe die verfügende Behörde zurecht die Waffenerwerbsgesuche des Beschwerdeführers abgelehnt.

Urteil des Obergerichts AR O4V 23 10 vom 02.11.2023 E. 3.1

Das Obergericht kassiert den Entscheid der Vorinstanz, indem es zunächst auf den klaren Gesetzeswortlaut hinweist:

Soweit die Vorinstanzen, die Verweigerung der Bewilligungen mit dem Hinderungsgrund von Art. 8 Abs. 2 lit. d WG begründen, kann ihnen nicht gefolgt werden: Diese Norm enthält gemäss klarem Wortlaut zwei Hinderungsgründe: Zum einen die Eintragung im Strafregister wegen einer Handlung, die eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekundet. Zum anderen die Eintragung im Strafregister wegen wiederholt begangener Verbrechen und Vergehen. Es bedarf damit klarerweise des Eintrags ins Strafregister (vgl. dazu auch den franzäsischen und italienischen Wortlaut der Bestimmung: qui figurent sur l’extrait destiné aux particuliers selon l’art. 41 de la loi du 17 juin 2016 sur le casier judicaire pour un acte dènotant un caractère violent ou dangereux ou pour la commission répétée de crimes ou de délit; in ragione di una condanna per reati che denotano carattere violento o percioloso o per crimini o delitti commessi ripetutamente, figurano nell’estratto per privati secondo l’articolo 41 della legge del 17 giugno 2016 sul casellario giudiziale). Die Voraussetzung des Strafregistereintrags gemäss Art. 8 Abs. 2 lit. d WG wurde in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung mehrfach bestätigt (Urteile des Bundesgerichts 2C_158/2011 vom 29. September 2011 E. 3; 2C_125/2009 vom 4. August 2009 E. 2.2; 2C_797/2008 vom 30. April 2009 E. 3.2.2; 2C_93/2007 vom 3. September 2007 E. 5.1). Damit trifft es nach Auffassung des Obergerichts entgegen der anderslautenden Ansicht von Michael Bopp (in: Facincani/Sutter [Hrsg.], Kommentar Waffengesetz, 2017, N. 29 zu Art. 8 WG) nicht zu, dass Handlungen nach Art. 8 Abs. 2 lit. d WG, welche eine gewalttätige oder gemeingefährliche Gesinnung bekunden, nicht zwingend Straftatbestände erfüllen müssten. Zu einer anderen Auslegung gegen den Wortlaut lassen auch die Erläuterungen im Bundesblatt zu Art. 31 WG keine Rückschlüsse zu (BBL 1996 I 1072). Da das Strafregister keinen Eintrag zulasten des Beschwerdeführers enthält, kommt der Hinderungsgrund von Art. 8 Abs. 2 lit. d WG demzufolge vorliegend nicht zur Anwendung.

Urteil des Obergerichts AR O4V 23 10 vom 02.11.2023 E. 3.3

Nachdem das Obergericht den Hinderungsgrund nach Art. 8 Abs. 2 lit. d WG (Strafregistereinträge) verneint hat, will es auch keinen Hinderungsgrund im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG (Selbst- oder Drittgefährdung mit der Waffe) erkennen:

Aus dem angefochtenen Entscheid geht nicht hervor, gestützt auf welche Sachverhaltselemente die Vorinstanz (auch) von einem Hinderungsgrund gemäss Art. 8 Abs. 2 lit. c WG ausgegangen ist. Wie der Beschwerdeführer zutreffend argumentiert, können selbstredend weder die Übertretungsbusse im Strafbefehl vom 23. August 2021 (act. 2.15) noch die Einstellungsverfügung vom 2. August 2022 (act. 2.34) solche Gründe bilden. Aus den Akten ergibt sich auch nicht, dass der Beschwerdeführer die Neigung besitzt, von ihm erworbene Waffen illegal bzw. unter Umgehung der Schranken von Art. 8 Abs. 2 WG an andere Personen weiterzugeben, welche ihrerseits damit Dritte gefährden, womit allenfalls der Hinderungsgrund von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG vorliegen würde (Urteil des Bundesgerichts 2A.546/2004 vom 4. Februar 2005 E. 3.3.1). Damit bleibt einzig die im Strafbefehl vom 9. Februar 2021 vorgeworfene Drohung (act. 2.12 und 2.14). Der Vorfall führte jedoch nicht zu einer Verurteilung, da der entsprechende Strafantrag vom Adressat der Drohung zurückgezogen und das Strafverfahren vom Kantonsgericht mit Verfügung vom 22. Dezember 2021 eingestellt wurde (act. 2.31 und 2.32). Die mutmassliche Drohung stand zudem offenkundig im Zusammenhang mit der ausgesprochenen Kündigung, woraus dem Beschwerdeführer nicht ohne weiteres ein erhebliches Aggressionspotential mit periodischen Wutausbrüchen attestiert werden kann. In den Akten gibt es keine Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer bisher konkret Personen oder sich selbst mit Waffen bedroht oder verletzt hat oder dass er seine Waffen in einer Weise einsetzen wird, die führ ihn selbst oder für andere gefährlich ist. Auch für eine Beeinträchtigung des psychischen Zustands oder eine Suchterkrankung des Beschwerdeführers lassen sich weder den Akten noch den vorinstanzlichen Entscheiden Hinweise entnehmen (vgl. dazu auch Art. 52 Abs. 1 lit. c der Verordnung über Waffen, Waffenzubehör und Munition, Waffenverordnung, WV, SR 514.541). Die Vorinstanz scheint zudem zu verkennen, dass es für das Vorliegen eines Hinderungsgrunds im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG nicht genügt, dass ein solcher nicht mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann; sonder es muss gestützt auf konkrete Gegebenheiten eine sachlich begründbare, überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Selbst- oder Drittgefährdung unter Verwendung einer Waffe vorliegen. Wäre im vorliegenden Fall tatsächlich eine solche Wahrscheinlichkeit einer Selbst- und Drittgefährdung zu bejahen, hätten die Vorinstanzen konsequenterweise auch eine Beschlagnahmung allfälliger Waffen im Besitz des Beschwerdeführers zu prüfen (vgl. dazu Art. 31 Abs. 1 lit. b WG) und beim Kanton St.Gallen einen Entzug der Betriebsbewilligung beantragen müssen. Die Betriebsbewilligung wurde jedoch offensichtlich von der Kantonspolizei St.Gallen am 1. Februar 2023 vorbehaltlos verlängert, wobei von dieser keine Hinderungsgründe festgestellt wurden (act. 2.35). In Anbetracht dieser Umstände besteht seitens der Vorinstanzen nicht mehr als ein vager, nicht substantiierter Verdacht der Drittgefährdung. Die im Jahr 2021 mutmasslich ausgesprochene Drohung vermag für sich allein noch keine erhebliche bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Selbst- oder Drittgefährdung und damit die Verweigerung der ersuchten Bewilligungen zu begründen. Damit ist auch der Hinderungsgrund von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG zu verneinen.

Urteil des Obergerichts AR O4V 23 10 vom 02.11.2023 E. 4.2

Würdigung

Dass der Hinderungsgrund des einschlägigen resp. mehrfachen Strafregistereintrags (Art. 8 Abs. 2 lit. d WG) mindestens einen Strafregistereintrag erfordert, dürfte eigentlich niemanden überraschen. Interessanter ist, mit welcher Deutlichkeit das Obergericht festhält, dass weder die Übertretung noch das eingestellte Strafverfahren einen Hinderungsgrund im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG (Selbst- oder Drittgefährdung mit der Waffe) darstellen können. Besonders Letzterem ist insofern zuzustimmen, als dass die rechtskräftige Einstellungsverfügung doch einem freisprechenden Endentscheid gleichkommt (Art. 320 Abs. 4 StPO). Würde einem Gesuchsteller hingegen jedes eingestellte Strafverfahren angelastet, wäre dies nicht nur rechtsstaatlich problematisch, auch könnten in extremis jeder Person mit erfundenen Tatvorwürfen, welche eine strafprozessuale Untersuchung nach sich zögen, der Waffenerwerb und -besitz verunmöglicht werden. Gleichwohl will ich mit dem Obergericht (vgl. E. 4.1) daran erinnern, dass die Verwaltung nicht an die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde gebunden ist und einen strengeren Massstab anlegen darf.

Verpflichtet wird die verfügende Behörde durch den Untersuchungsgrundsatz, der das Verwaltungsverfahren beherrscht. Damit trägt die Verwaltungsbehörde eine gewisse Beweislast betreffend das Bestehen von Hinderungsgründen – vorliegend (auch) im Bewilligungsverfahren.1 Als folgenschwer erweisen sich daher die obergerichtlichen Feststellungen, wonach in den Akten Anhaltspunkte für eine Selbst- oder Drittgefährdung mit der Waffe, eine psychische Beeinträchtigung oder eine Suchterkrankung fehlen würden. Ähnlich dem waffenrechtlichen Beschlagnahme- und Einziehungsverfahren wäre die Behörde gehalten gewesen, allfällige Hinderungsgründe zu dokumentieren. Zur Annahme des Hinderungsgrunds der Selbst- oder Drittgefährdung mit der Waffe (Art. 8 Abs. 2 lit. c WG) verlangt die Rechtsprechung2 regelmässig eine gutachterliche Prüfung des Gesamtverhaltens bzw. des psychischen Zustandes des Betroffenen.

  1. Im Bewilligungsverfahren wird diese Beweislast allerdings durch die Mitwirkungspflicht des Gesuchstellers relativiert. ↩︎
  2. Vgl. ArmaLex-Beiträge vom 1. Mai 2023 sowie vom 23. September 2023. ↩︎