Strafrechtliche Einziehung sperrt verwaltungsrechtliche Rückgabe


Das Bundesgericht klärt das Verhältnis der Sicherungseinziehung nach Art. 69 StGB zu den Bestimmungen des Waffengesetzes.

Im zur Publikation vorgesehenen Urteil des Bundesgerichts 2C_125/2023 vom 21. Mai 2024 wird erörtert, ob mit Strafurteil rechtskräftig eingezogene und der Polizei überlassene Gegenstände in einem nachgelagerten waffenrechtlichen Verwaltungsverfahren an den Betroffenen zurückgegeben werden dürfen.

Unter Hinweis auf die anzustrebende Einheit der Rechtsordnung klärt das Bundesgericht vorab das Verhältnis der strafrechtlichen Sicherungszeinziehung zu den Normen des Waffengesetzes:

[…] Das Verhältnis von Sicherungseinziehung nach Art. 69 StGB und den Bestimmungen des Waffengesetzes ist gestützt auf diese Rechtsprechung klarzustellen. Soweit sich aus dem Entscheid über die Sicherungseinziehung bereits ergibt, dass eine Herausgabe ausgeschlossen ist, verbleibt dafür in Anwendung verwaltungsrechtlicher Bestimmungen kein Raum.

Urteil des Bundesgerichts 2C_125/2023 vom 21.05.2024 E. 4.5

Sodann werden die Voraussetzungen der Sicherungseinziehung zusammengefasst; zurückzukommen ist jedoch auf die Ausführungen zu „entschärften“ Gegenständen:

Die Sicherungseinziehung nach Art. 69 StGB setzt einen Bezug zu einer Straftat (Anlasstat) voraus. Zwischen den eingezogenen Gegenständen und der Anlasstat muss ein hinreichend konkreter Konnex gegeben sein; die fraglichen Gegenstände müssen zur Begehung der Anlasstat gedient haben oder dazu bestimmt gewesen sein (Tatwerkzeuge) oder durch die Straftat hervorgebracht worden sein (Tatprodukte) (BGE 149 IV 307 E. 2.4.1; 129 IV 81 E. 4.2). Zusätzlich zu diesem Deliktskonnex wird eine konkrete Gefährdung verlangt. Das Gericht hat im Sinn einer Gefährdungsprognose zu evaluieren, ob es hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Gegenstand in der Hand des Eigentümers zukünftig die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährdet (BGE 149 IV 307 E. 2.4.1; 137 IV 249 E. 4.4; 130 IV 143 E.3.3.1). Schliesslich hat das Strafgericht zu prüfen, ob die festgestellte Gefährdung die Sicherungseinziehung rechtfertigt. Diese stellt einen Eingriff in die Eigentumsgarantie nach Art. 26 BV dar (BGE 149 IV 307 E. 2.4.2; 137 IV 249 E. 4.5). Sie untersteht daher stets dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV). Daraus folgt, dass die Einziehung erstens zur Erreichung des Sicherungszwecks geeignet sein muss und zweitens nicht weiter gehen darf, als es der Sicherungszweck gebietet (BGE 137 IV 249 E. 4.5; 135 I 209 E. 3.3.1 mit Hinweisen). Die Vernichtung des Gegenstands fällt ausser Betracht, wenn er verwertet werden kann. Wo mildere Massnahmen wie die Unbrauchbarmachung einem Gegenstand seine Gefährlichkeit nehmen, ist die Einziehung unverhältnissmässig (Urteile 6B_217/2021 vom 26. Mai 2021 E. 7.1; 6B_356/2010 vom 14. Juli 2010 E. 2.7). So ist ein „entschärfter“, nicht mehr gefährlicher Gegenstand grundsätzlich der berechtigten Person zurückzugeben (BAUMANN, a.a.O., N. 14 zu Art. 69 StGB mit Verweis auf die Botschaft vom 30. Juni 1993 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und Militärstrafgesetzes, BBl 1993 III 277 ff., 306).

Urteil des Bundesgerichts 2C_125/2023 vom 21.05.2024 E. 4.6

Letztlich hält das Bundesgericht fest, dass die Verhältnismässigkeit der Herausgabe im Verwaltungsverfahren nicht mehr zu prüfen ist, weil diese bereits Thema des Strafverfahrens sein musste:

Vorliegend war die Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 352 Abs. 2 StPO befugt und verpflichtet, über die Sicherungseinziehung der strittigen Gegenstände zu befinden. Sie hatte in diesem Rahmen eine Gefährdungsprognose zu treffen und die Verhältnismässigkeit der Sicherungseinziehung zu beurteilen (E. 4.6 hiervor). Mit dem inzwischen rechtskräftigen Strafbefehl bejahte die Staatsanwaltschaft zum einen das Gefährdungspotenzial der strittigen Gegenstände, zum anderen schloss sie die Möglichkeit einer Rückgabe aus. Entsprechend war die Verhältnismässigkeit der Herausgabe der Gegenstände bereits Thema des Strafverfahrens bzw. hätte Thema sein müssen. Der Beschwerdeführer war nach Treu und Glauben verpflichtet, seinen Standpunkt im Strafverfahren geltend zu machen (vorstehende E. 4.5). Er kann daher im nachgelagerten Verwaltungsverfahren nicht mehr auf Aspekte zurückkommen, die rechtskräftig durch die Staatsanwaltschaft beurteilt wurden. Demnach verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie nicht erneut auf die Frage eingeht, ob die Waffen und dazugehörigen Komponenten dem Beschwerdeführer herausgegeben werden können.

Urteil des Bundesgerichts 2C_125/2023 vom 21.05.2024 E. 4.7

Im Ergebnis können rechtskräftige, im Strafprozess ansässige Beurteilungen im darauffolgenden waffenrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht revidiert werden. Umso wichtiger ist es, eine Sicherungseinziehung im Strafverfahren zu hinterfragen.

Sicherungseinziehung von Dekowaffen?

Im Gegensatz zu anderen Staaten kennt die Schweiz für nicht (mehr) funktionsfähige Gewehre etc., die einzig Dekorations- oder Anschauungszwecken dienen (oft „Dekowaffen“ genannt), keine gesonderte waffengesetzliche Kategorie. Dekowaffen gelten hierzulande – je nach Ursprung und Beschaffenheit – als Feuer- oder Imitationswaffen nach Art. 4 Abs. 1 lit. a resp. g WG.

Da nach Ansicht der zitierten Lehre und des Bundesgerichts «ein „entschärfter“, nicht mehr gefährlicher Gegenstand grundsätzlich der berechtigten Person zurückzugeben» ist (E. 4.6), könnte der Eindruck entstehen, dass Dekowaffen aufgrund ihrer Funktionslosigkeit nicht Gegenstand einer strafrechtlichen Sicherungseinziehung sein können. Weil das Dekowaffen inhärente Gefährdungspotenzial jedoch in deren Wiederinstandsetzbarkeit1 resp. Optik liegt, wäre dies ein Trugschluss. Jedenfalls ist die von Dekowaffen ausgehende Gefahr vergleichsweise gering, was sich in der vorzunehmenden Gefährdungsprognose und Verhältnismässigkeitsprüfung niederzuschlagen hat.

  1. In E. 2b des Urteils 2A.227/2001 vom 17. September 2001 hielt das Bundesgericht fest, dass Dekowaffen – in casu eine deaktivierte Seriefeuerwaffe – mit Aufwand wieder funktionsfähig gemacht werden können und ihnen alsdann dasselbe Gefahrenpotenzial wie der ursprünglichen Waffe zukomme. Deshalb müsse eine Dekowaffe denselben Bestimmungen unterworfen sein wie die Waffe im Originalzustand. ↩︎