Staatsanwaltschaft muss beschlagnahmte Waffe suchen


Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts Bern weist die Staatsanwaltschaft an, das mutmassliche Verschwinden einer beschlagnahmten Pistole sowie die Beschädigung beschlagnahmter Bajonette zu ergründen.

Im August 2023 nahm die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland ein durch einen Waffensammler angestrengtes Strafverfahren nicht an die Hand; beanzeigt ist das Verschwinden einer beschlagnahmten Pistole aus der Obhut des Fachbereichs Waffen, Sprengstoff und Gewerbe der Kantonspolizei Bern. Weiter soll die Polizei – trotz expliziter Warnungen – Originalverpackungen von Sammlerstücken geöffnet und eine wertvermindernde Rostbildung an Bajonetten verursacht haben. Gegen die Nichtanhandnahme führte der Sammler erfolgreich Beschwerde: Mit Beschluss BK 23 356 vom 6. Februar 2024 hebt die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern die angefochtene Verfügung auf und weist die Staatsanwaltschaft sinngemäss an, die involvierten Mitarbeiter der Kantonspolizei zu ermitteln, Einvernahmen durchzuführen, die beschädigten Waffen zu untersuchen und den Weg der vermissten Pistole zu rekonstruieren.

Die aufgehobene Nichtanhandnahmeverfügung umfasste die Straftatbestände der Veruntreuung (Art. 138 StGB), unrechtmässigen Aneignung (Art. 137 StGB), Sachentziehung (Art. 141 StGB) und Sachbeschädigung (Art. 144 StGB). Die ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) sowie der Erwerb einer Faustfeuerwaffe ohne Berechtigung (Art. 33 Abs. 1 lit. a WG) scheinen nicht Gegenstand dieser Nichtanhandnahmeverfügung gewesen zu sein.

Begründet hat die Staatsanwaltschaft ihre aufgehobene Verfügung im Wesentlichen damit, dass nur Vorsatzdelikte in Frage kämen, ein vorsätzliches Handeln indes nicht ersichtlich sei (E. 3.2). Dieses (vorschnelle) Verdikt hält den obergerichtlichen Erwartungen an die Strafuntersuchung nicht stand:

[…] Gänzlich ungeklärt ist sodann die Frage, was mit der nicht mehr aufgefundenen Waffe tatsächlich passiert ist; ob es sich bei dieser Waffe – wie von der Polizei aufgeführt – allenfalls um eine in der Materialienliste aufgeführte Position handelt (bei mehreren Positionen hat es keine Angabe zum Hersteller oder zur Seriennummer) oder ob diese tatsächlich abhandengekommen ist, ergibt sich aus den vorhandenen Akten nicht. Schliesslich sind weitere Ermittlungen erforderlich, um die Frage der Verantwortung und damit der (eventual-)vorsätzlichen Tatbegehung zu klären. Die Staatsanwaltschaft stellte den massgebenden Sachverhalt in Bezug auf die nicht mehr auffindbare Waffe einzig aufgrund des Einvernahmeprotokolls vom 17. September 2020, der Materialverzeichnisse, der Schreiben vom 24. Februar 2021 und 21. Februar 2023 sowie der Verfügung vom 31. März 2023, dem Schreiben vom 26. April und der Verfügung zur Rückgabe der Waffe vom 26. April 2023 fest. Die konkreten Umstände des Verlustes der Waffe lassen sich aus diesen Akten nicht erstellen. Es wurden weder die involvierten Mitarbeiter hierzu befragt, noch wurde versucht, den Weg der Waffe seit der Einvernahme vom 17. September 2020 und der angeblichen Übergabe an die Polizei zu rekonstruieren. Trotz der unklaren Sachlage geht die Staatsanwaltschaft höchstens von einer strafrechtlich nicht relevanten pflichtwidrigen Unvorsichtigkeit (Art. 12 Abs. 3 StGB) aus, ohne eigene Nachforschungen getätigt zu haben. Der Sachverhalt wurde folglich, wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, nicht hinreichend abgeklärt. Ein solches Vorgehen ist mit Art. 310 Abs. 1 Bst. a StPO nicht vereinbar. Vielmehr hätten es die konkreten Umstände von der Staatsanwaltschaft zumindest erfordert, die Namen der involvierten Mitarbeiter der Kantonspolizei Bern ausfindig zu machen, Befragungen durchzuführen und den Weg der Waffe zu rekonstruieren versuchen.

Beschluss der Beschwerdekammer in Strafsachen BE BK 23 356 vom 06.02.2024 E. 7.1

Ähnliches gilt bezüglich der rostigen Bajonette:

[…] Der Beschwerdeführer bringt betreffend Rostbefall zu Recht vor, dass die Fachpersonen des Fachbereichs Waffen, Sprengstoff und Gewerbe wissen dürften, wie Waffen zu behandeln sind. Vor dem Hintergrund, dass Gegenstände handzuhaben sind, dass sie keinen Schaden nehmen und nicht an Wert einbüssen, bestehen zu viele Unklarheiten, um die Frage des Vorsatzes ohne weitere Ermittlungen zum Vornherein zu verneinen. Zwar ist unklar, wie stark der Rostbefall ist (einziger Hinweis in der Materialienliste vom 25. April 2023 zum Bajonett Nr. 51 «stark verrostet») und ob dieser tatsächlich während der Beschlagnahme entstanden ist. Gemäss den bislang glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers deutet derzeit jedoch einiges darauf hin. Damit scheidet eine Nichtanhandnahme aus. Für die Eröffnung eines Strafverfahrens sind gerade keine eindeutigen Beweise erforderlich. Der Zeitpunkt der Beschädigung dürfte sich denn auch durch die Befragung der zuständigen Polizeibeamten und die Untersuchung der Waffe ermitteln lassen. Gänzlich ungeklärt ist sodann, wer für den Schaden verantwortlich ist. In Anbetracht dessen sind weitere Ermittlungen erforderlich, um die Frage eine (eventual-)vorsätzlichen Begehung zu klären. Der angefochtenen Verfügung sind mit Bezug auf die angebliche Wertverminderung durch Rost an den Waffen einzig Ausführungen im Zusammenhang mit der Staatshaftung zu entnehmen. Ganz allgemein wird ein vorsätzliches Handeln verneint. Ein solches Vorgehen ist mit Art. 310 Abs. 1 Bst. a StPO nicht vereinbar.

Beschluss der Beschwerdekammer in Strafsachen BE BK 23 356 vom 06.02.2024 E. 6.3

Betreffend das Öffnen der Originalverpackungen stimmt das Obergericht der Staatsanwaltschaft zu und verneint eine tatbestandsmässige Sachbeschädigung:

Mit Bezug auf die beschädigten Originalverpackungen hält die Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung zu Recht fest, dass sich vorliegend keinerlei Anhaltspunkte ergeben, welche auf eine vorsätzliche Wertverminderung der betreffenden Gegenstände hindeuten (vgl. E. 3.2). Daran vermag auch der Einwand des Beschwerdeführers, wonach er anlässlich der Sicherstellung explizit darauf hingewiesen habe, dass eine Öffnung der Originalverpackung einen Wertverlust zur Folge haben werde, nichts zu ändern. Das blosse Bewusstsein der Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung begründet noch keinen Vorsatz im strafrechtlichen Sinne. Es ist überdies nicht angängig, aus den Tatfolgen (Sachbeschädigungen) auf einen angeblich zuvor bestandenen Willen zu schliessen. Den betreffenden Mitarbeitern war, falls dieser Hinweis überhaupt gemacht bzw. ihnen zur Kenntnis gebracht wurde, zwar die Möglichkeit bekannt, dass das Öffnen der Originalverpackung einen Wertverlust zur Folge haben könnte. Daraus kann aber nicht darauf geschlossen werden, dass sie in diesem Moment eine Sachbeschädigung tatsächlich in Kauf genommen haben. So machten die Beamten denn auch nachvollziehbar geltend, dass nicht beabsichtigt war, einen Wertverlust herbeizuführen, sondern dass die Öffnung der beiden Originalverpackungen notwendig war um festzustellen, um was genau es sich bei deren Inhalt handelt. Dieser Begründung steht auch nicht entgegen, dass lediglich zwei der drei Verpackungen geöffnet wurden. Vielmehr geht die Kammer in Übereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft davon aus, dass die Beamten darauf verzichtet haben, eine dritte Originalverpackung zu öffnen, um zusätzliche Wertverluste zu verhindern (vgl. Art. 266 Abs. 2 StPO). Nach dem Gesagten, ist der Tatbestand der Sachbeschädigung in diesem Zusammenhang nicht erfüllt.

Beschluss der Beschwerdekammer in Strafsachen BE BK 23 356 vom 06.02.2024 E. 6.2

Damit bestätigt die Beschwerdekammer das zur eventualvorsätzlichen Tatbegehung notwendige Wissenselement („als möglich voraussehen“), verneint aber das zugehörige Willenselement („in Kauf nehmen“). Dass ein Wertverlust nicht angestrebt war, würde eine Inkaufnahme nicht ausschliessen. Hatten die Beamten Gewissheit darüber, dass ein Öffnen der Verpackung einen Wertverlust zur Folge hat, so wäre die fahrlässige Tatbegehung gar ausgeschlossen. Insofern überzeugt diese Erwägung nicht gänzlich. Das Verhalten der Polizeibeamten wäre über eine irgendwie geartete Berufspflicht im Sinne von Art. 14 StGB wohl eleganter zu rechtfertigen gewesen, wobei man durchaus fragen darf, weshalb eine Originalverpackung geöffnet werden muss, um das Verpackte zu ermitteln.