Nerf Gun ist keine Imitationswaffe


Das Obergericht des Kantons Aargau nannte Kriterien zur Ermittlung einer Imitationswaffe und kam zum Schluss, dass die fragliche Nerf Gun keine solche darstellt.

Im Ausland bestellte Spielzeugwaffen (Wasserpistolen, Nerf Guns etc.) legen regelmässig die Grundlage für Verwaltungs- und Strafverfahren, da sie oft als «Imitationswaffe» im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. g WG qualifiziert und damit den Regeln des Waffengesetzes unterworfen werden.

Mit Urteil SST.2025.132 vom 13. Oktober 2025 musste sich das Strafgericht des Aargauer Obergerichts (endlich) einem bunten, revolverähnlichen Spielzeug namens Destiny 2 Ace of Spades der bekannten Marke Nerf Guns annehmen und kam zum Schluss, dass dieser Gegenstand keine Imitationswaffe ist.

Erwägungen des Gerichts

Da ich beruflich mit diesem Strafverfahren befasst war, will ich mich nachfolgend auf das Herausschälen der Schlüsse mit Präzedenzcharakter beschränken.

Vorab soll das Anpreisen des Gegenstands bei der Beurteilung keine Rolle spielen:

[…] Nachdem das Gesetz einzig auf die visuelle Wahrnehmung abstellt, steht auch fest, dass die Frage der Verwechselbarkeit aus einer gewissen (im Gesetz nicht näher definierten) Distanz zu beurteilen ist (ASLANTAS FATIH, in: Stämpflis Handkommentar, Waffengesetz [WG], Facincani/Sutter [Hrsg.], Bern 2017, Art. 4 N. 15 WG m.H.; Urteil des Obergerichts Zürich SB230164 vom 10.10.2023 E. III/ E. 4.3.1). Da es für die Qualifikation eines Gegenstands als Imitationswaffe nach dem Wortlaut des Gesetzes allein darauf ankommt, wie sich der Gegenstand einer beliebigen Person präsentiert, kann es keine Rolle spielen, wie ein Gegenstand beim Kauf beschrieben wird.

Urteil des Obergerichts AG SST.2025.132 vom 13.10.2025 E. 3.2.2

Die Beurteilungsdistanz soll mehrere Meter betragen und die Bedienbarkeit des Gegenstandes keine Rolle spielen:

[…] Diesem Gesetzeszweck entsprechend muss es bei der Frage der Verwechselbarkeit sowohl auf die Perspektive eines unmittelbar bedrohten Opfers als auch auf diejenige von Drittpersonen ankommen, welche eine fremde Bedrohung wahrnehmen und sich deswegen zum Einschreiten veranlasst sehen könnten. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Distanzen schliessen, auf die es bei der visuellen Beurteilung eines Gegenstands ankommen muss. Während das selbst bedrohte Opfer das Tatwerkzeug in der Regel wohl aus nächster Nähe wahrnehmen kann, könnte sich eine Drittperson im Falle der Verwechselbarkeit eines Gegenstands mit einer echten Schusswaffe schon aus grösserer Distanz zu gefährlichen Notwehrhilfehandlungen veranlasst sehen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang namentlich an einen Polizisten, der bei einer Bedrohung einer Drittperson entscheiden muss, ob er von seiner Pistole oder seines Destabilisierungsgeräts Gebrauch machen will. Pistolen und Destabilisierungsgeräte werden in der polizeilichen Praxis in der Regel auf Distanzen unter 10 m eingesetzt (vgl. im Zusammenhang mit Pistolen CLEMENS LOREI, Zu verschiedenen Taktiken beim polizeilichen Schießen, Ziff. 3, in: polizeiaktuell vom 28. Juni 2024, abrufbar unter https://ksv-polizeipraxis.de/zu-verschiedenen-taktiken-beim-polizeilichen-schiessen/, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2025, unter Hinweis auf LOREI/BALANESKOVIC, Schusswaffengebrauch gegen Personen in Deutschland 2013-2017, in: Studien zum Schusswaffeneinsatz: Polizeilicher Schusswaffengebrauch in Deutschland und Europa, Clemens Lorei [Hrsg.], Frankfurt am Main 2020, S. 3 ff.; im Zusammenhang mit dem Destabilisierungsgerät Axon Taser 10, das von der Kantonspolizei Aargau eingesetzt wird: Die Kantonspolizei Aargau setzt jetzt Strom gegen Verbrecher ein: Die Mythen über den Taser im Realitäts-Check, AZ vom 19. März 2025; abrufbar unter https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/ausbildung-die-kantonspolizei-aargau-setzt-jetzt-strom-gegen-verbrecher-ein-die-mythen-ueber-den-taser-im-realitaets-check-ld.2747705, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2025). Für die Frage, aus welcher Entfernung die Frage der Vergleichbarkeit zu beurteilen ist, erscheint es damit sachgerecht, auf eine Beurteilungsdistanz von mehreren Metern abzustellen. Dabei darf auch bei suboptimalen Sichtverhältnissen (Dämmerung, schlechter Witterung) keine Verwechslungsgefahr entstehen. Weil sich die Verwechselbarkeit somit aus einigen Metern Entfernung und nach dem ersten Blick beurteilt, steht auch fest, dass es bei der Frage der Verwechselbarkeit in der Regel nicht darauf ankommen kann, ob sich die Einzelteile eines schusswaffenähnlichen Gegenstands (Patronentrommel, Schlaghammer, Sicherungshebel, etc.) bedienen lassen oder ob deren Funktionsfähigkeit lediglich vorgetäuscht wird. Solches wird sich auf eine Distanz von mehreren Metern bei einer primavista-Beurteilung kaum klar erkennen lassen.

Urteil des Obergerichts AG SST.2025.132 vom 13.10.2025 E. 3.2.3

Dass heute auch bunte Feuerwaffen verkauft werden, wurde vom Obergericht erkannt; dennoch sollen knallbunte Farben, Kennzeichnungen und Markierungen gegen eine Imitationswaffe sprechen:

[…] Der Staatsanwaltschaft ist grundsätzlich darin zuzustimmen, dass die Hersteller von echten Schusswaffen heutzutage vermehrt auch farbige Produkte anbieten. Das gilt namentlich auch für den von der Staatsanwaltschaft erwähnten Hersteller Chiappa, der den Revolver Rhino in verschiedenen Farben (Rahmen und Griff) anbietet (vgl. etwa unter https://www.shooting-store.ch/ki/Produkte/Waffen/Revolver/Chiappa/Chiappa-Revolver.html, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2025). Farbliche Ähnlichkeiten mit der NERF LMTD Destiny 2 Ace weist insbesondere der Revolver Chiappa Firearms Rhino Stormhunter .357 Magnum auf, der ebenfalls über einen weissen Rahmen und schwarze Schattierungen verfügt, was wohl dem Gegenstand – wie bei der NERF LMTD Destiny 2 Ace – einen „used-look“ verleihen soll (vgl. etwa https://waffen-friedrichs.com/chiappa-rhino-60-ds-stormhunter-357-mag-6-special-edition/, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2025). Hinsichtlich der Bemusterung mit Symbolen unterscheiden sich jedoch die NERF LMTD Destiny 2 Ace klar von den Standard-Modellen Rhino aus dem Hause Chiappa. Die Chiappa Rhino weist im Gegensatz zur NERF LMTD Destiny 2 Ace auch keine leuchtend orangen Kennzeichnungen an der Mündung, am Korn oder am Abzug auf. Derartige knallbunte Farben wären auch für andere echte Schusswaffen untypisch. Gerade solche leuchtbunten Markierungen werden von den Herstellern von Spielzeugwaffen dazu verwendet, um diese von echten Schusswaffen unterscheidbar zu machen (vgl. auch Urteil des Obergerichts Zürich SB230164 vom 10.10.2023 E. III/E. 4.3.1). Sie lassen sich im Allgemeinen auch aus einer Entfernung von mehreren Metern ohne weiteres erkennen.

Urteil des Obergerichts AG SST.2025.132 vom 13.10.2025 E. 3.3.1

(Auch) bei nachempfundenen Spielzeugwaffen soll das Grössenverhältnis von zentraler Bedeutung sein:

Der Staatsanwaltschaft ist grundsätzlich auch darin beizupflichten, dass die Formsprache der NERF LMTD Destiny 2 Ace derjenigen der echten Waffe Chappa Rhino gleicht bzw. dürfte die NERF LMTD Destiny 2 Ace der echten Schusswaffe Rhino sogar nachempfunden worden sein. Hierfür spricht, dass sich der Lauf in beiden Fällen auf der Höhe der untersten Patrone im Patronenlager und nicht auf der Höhe der obersten Patrone im Patronenlager befindet, wo man ihn eigentlich (bei einer funktionsfähigen Waffe) aufgrund der Höhe des Schlaghammers vermuten würde. Ausserdem ist die Trommel bei beiden Produkten nicht rund, sondern sechseckig ausgebildet. Mit dem tiefliegenden Lauf und der sechseckigen Trommel übernimmt zwar die NERF LMTD Destiny 2 Ace die Formsprache der Chiappa Rhino, unterscheidet sich aber in dieser unorthodoxen Baubeweise deutlich von anderen echten Schusswaffen (vgl. dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Chiappa_Rhino, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2025). Obwohl die NERF LMTD Destiny 2 Ace in ihrer Formsprache mit der echten Schusswaffe Chiappa Rhino vergleichbar erscheint, bestehen erhebliche Unterschiede bei der Grösse: Während die Chiappa Rhino in der grössten Version (60 DS) eine Gesamtlänge von 26.6 cm aufweist (vgl. https://www.waffenzimmi.ch/produkt/revolver-chiappa-rhino-6/, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2025), beträgt die Gesamtlänge der NERF LMTD Destiny 2 Ace rund 48 cm. Auch die Volumina der NERF LMTD Destiny 2 Ace und der Chiappa Rhino 60 DS unterscheiden sich signifikant. Zwar gibt es auf dem Markt auch Revolver anderer Hersteller mit einer vergleichbaren Gesamtlänge wie die NERF LMTD Destiny 2 Ace (z.B. Smith & Wesson Model 500H; https://de.wikipedia.org/wiki/Smith_%26_Wesson_Model_500, zuletzt abgerufen am 13. Oktober 2025), diese sind jedoch von ihrer gesamten Erscheinung (Form und Volumen) her wiederum nicht verwechselbar mit einer NERF LMTD Destiny 2 Ace. Diese ist in Grösse und Volumen derart übertrieben ausgebildet, dass man sie auch ohne besondere Fachkenntnisse, ohne nähere Prüfung und aus einigen Metern Entfernung selbst bei suboptimalen Sichtverhältnissen sofort als Spielzeugwaffe erkennt. […]

Urteil des Obergerichts AG SST.2025.132 vom 13.10.2025 E. 3.3.2

Obschon echte Feuerwaffen heute erkanntermassen ganz oder teilweise aus Kunststoff hergestellt werden (können), soll eine Fertigung aus Plastik gegen eine Imitationswaffe sprechen:

[…] Hinzu kommt, dass sich die NERF LMTD Destiny 2 Ace auch von ihrer Materialisierung her optisch deutlich von einer echten Schusswaffe unterscheidet. Es ist auch aus einiger Distanz, bei suboptimalen Sichtverhältnissen und auf den ersten Blick klar erkennbar, dass es sich bei der NERF LMTD Destiny 2 Ace um eine billige Massenproduktionsware aus Plastik handelt, welche die Anforderungen an eine echte Schusswaffe in Bezug auf Festigkeit des Materials nicht erfüllen kann. Daran ändert der Umstand nichts, dass es heutzutage grundsätzlich möglich ist, Schusswaffen zumindest teilweise aus Kunststoff (Polymer) herzustellen.

Urteil des Obergerichts AG SST.2025.132 vom 13.10.2025 E. 3.3.2

Im Gegensatz zur Vorinstanz hat das Obergericht das Gewicht des fraglichen Spielzeugs sinnigerweise nicht als relevantes Kriterium herangezogen.

Präzedenzwirkung?

Die Beurteilung, ob es sich bei einem Gegenstand um eine Imitationswaffe handelt, hat auch vor dem Hintergrund dieses Urteils weiterhin im Einzelfall zu erfolgen. Immerhin gibt dieser in Kenntnis moderner Fertigungstechniken und Farbtrends gefällte Entscheid dem Anwender gerichtlich ermittelte Abgrenzungskriterien an die Hand, die – wenn auch nicht trennscharf – auf künftig importierte Spielzeuge angewandt werden können.