Mit vier Sicherheitsregeln zum qualifizierten Raub


Das Obergericht des Kantons Aargau hat einen Beschuldigten nach Rückweisung durch das Bundesgericht erneut wegen qualifizierten Raubes verurteilt und sich dabei auch der vier universellen Sicherheitsregeln im Umgang mit Feuerwaffen bedient.

Mit Strafurteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 4. April 2022 wurde ein Beschuldigter unter anderem wegen qualifizierten Raubes (Art. 140 Ziff. 2 StGB, Mitführen einer Schusswaffe) verurteilt. Er soll sich im März 2012 an einem Raubüberfall in einer Tankstelle beteiligt haben, anlässlich dessen er eine Schreckschuss- und sein Komplize eine Faustfeuerwaffe mitgeführt habe. Auch wenn dieses Urteil und der dahinterstehende Strafprozess in verschiedener Hinsicht bemerkenswert sein mögen, will ich mich im Folgenden auf (im weitesten Sinne) waffenrechtliche Aspekte beschränken.

Erneuter Schuldspruch

Das Obergericht des Kantons Aargau befasste sich zum zweiten Mal mit diesem Fall, nachdem das Bundesgericht im Urteil 6B_797/2020 vom 31. Januar 2022 eine Verurteilung wegen qualifizierten Raubes nach Art. 140 Ziff. 4 StGB (Lebensgefahr) nicht gelten liess:

Im Lichte dieser Gegebenheiten kann nicht angenommen werden, dass der von C. abgegebene Schuss im Tankstellenshop oder bereits der Einsatz einer geladenen Schusswaffe, dem gemeinsamen Tatplan entsprochen hat. Alleine aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer gemäss Vorinstanz wusste, dass C. zuvor schon Raubüberfälle verübt hatte, wobei bei mindestens einem davon ein Schuss gefallen sei, kann vorliegend nicht der Schluss gezogen werden, der Beschwerdeführer habe deshalb konkludent die Herbeiführung einer Lebensgefahr billigend in Kauf genommen (vgl. E. 4.3.4). Die Bejahung des Eventualvorsatzes bezüglich der Qualifikation als lebensgefährlichen Raub verletzt demnach Bundesrecht. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet. Der Schuldspruch wegen qualifizierten Raubes gemäss Art. 140 Ziff. 4 StGB ist folglich bereits aus diesem Grund aufzuheben.

Urteil des Bundesgerichts 6B_797/2020 vom 31. 01.2022 E. 4.4

Im Rahmen des neuerlichen Urteils hat sich das Obergericht nun gefragt, ob der Beschuldigte gewusst hatte, dass sich in der echten Schusswaffe seines mutmasslichen Komplizen Munition befand und diese Waffe geladen war. Um dem Beschuldigten solches Wissen zuzurechnen (und den Weg zum qualifizierten Tatbestand abermals zu ebnen), bediente sich das Obergericht einiger Annahmen sowie der vier universellen Sicherheitsregeln im Umgang mit Feuerwaffen:

Insgesamt lässt die Tatsache, dass in der vom Beschuldigten gebrauchten Schreckschusspistole zwei Schüsse im Magazin waren, nur den Schluss zu, dass er auch davon ausgehen konnte und musste, dass in der echten Waffe von B. Patronen waren. Dem Beschuldigten fehlten gegenteilige Hinweise, er konnte auch lediglich überzeugt angeben, dass die Waffe von B. noch nicht geladen gewesen sei. Dass er davon ausgegangen sei, dass die Waffe keine Patronen im Magazin gehabt habe, wird selbst von ihm selber nicht vorgebracht. Unter den gegebenen Umständen konnte er denn auch gar nicht darauf vertrauen, dass sich keine Patronen im Magazin befinden würden. Der Beschuldigte gab sich als geübt im Umgang mit Waffen zu erkennen, wobei ihm daher auch die Regel bekannt sein dürfte, dass Waffen in erster Linie immer als geladen zu betrachten sind, solange man sich nicht vom Gegenteil überzeugt hat (vgl. z.B. Sicherheitstipps bei Umgang mit Waffen des Kantons Zürich: www.zh.ch/de/sicherheitjustiz/delikte-praevention/waffen.html). Entsprechend lässt dies nur den Schluss zu, dass der Beschuldigte zumindest in Kauf nahm, dass B., als er mit ihm zusammen den Raubüberfall auf die Tankstelle in L. verübte, eine funktionstüchtige und zur Schussabgabe taugliche Waffe mit sich führte. Indem der Beschuldigte, nachdem er in seiner Schreckschusspistole die zwei Schüsse entdeckte, sich weder bei B. rückversicherte, dass in dessen Waffe keine Munition war und auch keine Anstalten machte, B. von der Mitnahme dessen Waffe abzuhalten, hat er damit konkludent in den Tatplan eingewilligt, eine Schusswaffe gemäss Art. 140 Ziff. 2 StGB zum Zwecke des Raubes mitzuführen. Demnach ist sowohl der objektive wie auch der subjektive Tatbestand von Art. 140 Ziff. 2 StGB erfüllt und der Beschuldigte ist entsprechend zu bestrafen.

Urteil des Obergerichts AG SST.2022.31 vom 04.04.2022 E. 2.3

So kommt das Obergericht zu einem Ergebnis, welches vom kassierten Entscheid kaum abweicht (qualifizierter Raub nach Art. 140 Ziff. 2 statt Ziff. 4 StGB), obwohl das Bundesgericht im zitierten Urteil davon ausgeht, «dass der Beschwerdeführer zwar wusste, dass C. eine Schusswaffe mit sich führte, ihm aber nicht bekannt war, dass diese geladen war» (E. 4.4). Der Entscheid des Obergerichts ist gegenwärtig nicht rechtskräftig, was auf eine erneute Beschwerde ans Bundesgericht schliessen lässt.

Die vier universellen Sicherheitsregeln

Die weltweite Verbreitung der «4 Universal Firearms Safety Rules» wird heute Lieutenant Colonel John Dean „Jeff“ Cooper zugeschrieben, der nach seiner Militärkarriere 1976 das American Pistol Institute (später Gunsite Academy) gegründet hat. Die Schweizer Armee lehrt ihren Rekruten diese vier Sicherheitsregeln wie folgt:

  1. Alle Waffen sind immer als geladen zu betrachten.
  2. Nie eine Waffe auf etwas richten, das man nicht treffen will.
  3. Solange die Visiervorrichtung nicht auf das Ziel gerichtet ist, ist der Zeigefinger ausserhalb des Abzugbügels zu halten.
  4. Seines Zieles sicher sein.
Kapitel 5.2, Regl 53.096 d, Schweizer Armee

Streng der Logik des Aargauer Obergerichts folgend, dürfte ein eventualvorsätzlicher bewaffneter Raub bei mitbeschuldigten Absolventen der Rekrutenschule oder Sportschützinnen in ähnlichen Situationen relativ einfach zu begründen sein. Ob es im Sinne des Gesetzgebers wäre, bei solchen Personengruppen beinahe generell von Eventualvorsatz auszugehen, bleibt fraglich. Ohnehin dienen die vier Sicherheitsregeln primär der Unfallverhütung.

Schreckschusspistole als «gefährliche Waffe»?

Zwischenzeitlich hat das Bundesgericht im Urteil 1B_289/2022 vom 1. Juli 2022 durchblicken lassen, (im Nahbereich) auch Schreckschusspistolen als «gefährliche Waffe» im Sinne von Art. 140 Ziff. 2 StGB gelten zu lassen (E. 4.4), wobei die dort referenzierten Entscheide an Art. 139 Ziff. 1bis aStGB (heute Art. 139 Ziff. 3 Abs. 3 StGB) bzw. Art. 140 Ziff. 3 Abs. 3 StGB anknüpfen.

Update: Beschwerde abgewiesen

Wie vorhergesagt, durfte sich das Bundesgericht nun erneut mit diesem Fall befassen. Diesmal stand die waffentechnische Funktionstauglichkeit der mitgeführten Pistole im Zentrum. Eine Besprechung dieses neuerlichen Bundesgerichtsurteils lesen Sie in diesem ArmaLex-Beitrag vom 20. November 2022.