Keine Gefährdung des Lebens nach Schuss durchs Fenster


Das Bundesgericht hat sich mit der Frage befasst, inwiefern ein Schuss durchs Fenster den Tatbestand der Lebensgefährdung erfüllt. Es folgt eine kurze Darstellung der relevanten Passagen.

Im jüngst veröffentlichten Urteil 6B_665/2022 vom 14. September 2022 hatte das Bundesgericht nachstehenden Sachverhalt zu beurteilen, wobei hier der Tatvorwurf der Gefährdung des Lebens nach Art. 129 StGB von Interesse sein soll:

Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wirft A. in der Anklageschrift vom 25. Juni 2018 zusammengefasst vor, am 9. März 2017 kurz vor 20.09 Uhr mit einer weiteren Person (beide mit gezogenen Schusswaffen) das Café B. betreten zu haben. Während einer der beiden die anwesenden Personen mit der Waffe in Schach gehalten habe, habe der andere in schneller Folge gesamthaft fünf Schüsse aus kurzer Distanz gezielt auf Körper bzw. Kopf der völlig überraschten C., D. und E. abgegeben. Vier Schüsse hätten ihr Ziel getroffen, während der fünfte Schuss ein Fenster durchschlagen und in die gegenüberliegende Häuserfassade eingeschlagen sei. D. habe einen Bauchschuss erlitten, an dessen Folge er verstorben sei. E. sei im linken Hüftbereich getroffen worden und habe neben dem Bruch des 5. Lendenwirbels und Weichteilverletzungen einen Bandscheibenvorfall, alternativ ein Hämatom sowie eine kleinere Blutung erlitten. Es habe jedoch potentielle Lebensgefahr bestanden. Als C. trotz der Schussverletzung in seiner Bauchregion weiter auf den Schützen zugegangen sei, habe jener einen weiteren Schuss abgegeben, der ihn in der Stirnmitte getroffen habe und tödlich gewesen sei.

Urteil des Bundesgerichts 6B_665/2022 vom 14.09.2022 Sachverhalt A

Für uns aufschlussreicher sind allerdings folgende Passagen:

[…] Vier der fünf abgegebenen Schüsse hätten die Personen getroffen, denen der Angriff mutmasslich gegolten habe. In dem relativ kleinen Lokal (Grundfläche ca. 28 m²) hätten sich auch noch drei weitere Personen aufgehalten. Gemäss der Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin seien drei Schüsse durch die Opfer hindurch gedrungen und wieder aus den Körpern ausgetreten. […] Schliesslich habe einer der fünf Schüsse das Fenster zur Strasse durchschlagen, sei an der gegenüberliegenden Hausfassade abgeprallt und sei letztlich auf dem Trottoir vor dem Lokal zu liegen gekommen. […] So habe sich L. zum Tatzeitpunkt in unmittelbarer Nähe des Cafés auf dem Trottoir befunden, als einer der Schüsse die Fensterscheibe Richtung Trottoir durchschlagen habe.

Urteil des Bundesgerichts 6B_665/2022 vom 14.09.2022 E. 7.2

Betreffend die Passantin L. verneint das Bundesgericht schliesslich einen Schuldspruch wegen Lebensgefährdung:

Zwar ist gemäss dem angefochtenen Entscheid erstellt, dass L. unmittelbar neben dem Fenster war, als der Schuss dieses durchschlug. Weil der Täter die Lebensgefahr aber mit direktem Vorsatz herbeigeführt haben muss, hätte die Täterschaft wissen müssen, dass sich L. bei der Schussabgabe dort befand, was nicht erstellt ist. Damit erweist sich die Beschwerde in diesem Punkt als begründet.

Urteil des Bundesgerichts 6B_665/2022 vom 14.09.2022 E. 7.4

Mit anderen Worten dürfte sich der Gefährdung des Lebens strafbar machen, wer bei seiner Schussabgabe weiss, dass sich eine Person nahe der Schusslinie (inkl. Querschläger- und Durchschusswahrscheinlichkeit) befindet und diese skrupellos in Lebensgefahr bringt und bringen will.