Einvernahme und Führungsbericht für meldepflichtige Waffen?


Die Abteilung SIWAS der Kantonspolizei St.Gallen wird für ihre neue Praxis im Bereich des Ersterwerbs freier Waffen kritisiert. Die Kantonsregierung sieht indes keinen Grund für ein Einschreiten.

Die Regierung des Kantons St.Gallen hatte jüngst die mit «Fragwürdiger Einsatz der polizeilichen Ressourcen» betitelte Interpellation vom 30. November 2022 zu beantworten (Geschäft 51.22.123). In dieser Interpellation wird der Kantonspolizei St.Gallen, genauer der Abteilung Sprengstoff, Waffen, Sicherheitsfirmen, Alarmanlagen und Sportveranstaltungen (SIWAS), sinngemäss vorgehalten, Ersterwerber von meldepflichtigen Waffen durch verdachtsunabhängige Vorladung einer polizeilichen Überprüfung zu unterziehen, was schweizweit einzigartig und im Waffengesetz (WG) nicht vorgesehen sei. Gleichzeitig wird erwähnt, dass diesbezüglich bereits eine Aufsichtsanzeige gegen die SIWAS beim Sicherheits- und Justizdepartement hängig sei. Zusätzlich wird die finanzielle Sinnhaftigkeit solcher Verfahren vor dem Hintergrund strapazierter Ressourcen der Kantonspolizei St.Gallen in Frage gestellt.

Abschliessend wird die Regierung um Beantwortung folgender Fragen gebeten:

  1. Erachtet die Regierung diese neue Praxis insofern als sicherheitsfördernd, als dass sie den Einsatz der ohnehin knappen polizeilichen Ressourcen rechtfertigt?
  2. Weshalb hat die Abteilung SIWAS – ungeachtet der unveränderten Rechtslage – als schweizweit einziges kantonales Waffenbüro diese Praxis eingeführt?
  3. Wird die Regierung infolge der mangelhaften rechtlichen Grundlage und angesichts der knappen Ressourcen die Abteilung SIWAS anweisen, keine verdachtsunabhängigen Vorladungen mehr auszusprechen?
Interpellation «Fragwürdiger Einsatz der Polizeilichen Ressourcen» vom 30.11.2022

Stellungnahme der Regierung

Mit schriftlicher Antwort vom 7. Februar 2023 bestätigt die St.Galler Regierung die kritisierte Praxisänderung ihrer Kantonspolizei:

Die Praxisänderung bei der Kantonspolizei (Abteilung SIWAS) ergab sich im zweiten Halbjahr 2021 aufgrund der grundlegenden Überarbeitung der Prozesse der Personenüberprüfungen. Die Praxis hat sich insbesondere dahingehend geändert, dass die Kantonspolizei bei Erwerb einer meldepflichtigen Waffe die gleichen Abklärungen zur erwerbenden Person tätigt wie beim Erwerb von bewilligungspflichtigen oder verbotenen Waffen. Die Abklärungen bestehen aus verschiedenen System- und Amtsstellenabklärungen sowie bei Ersterwerb aus einer Einvernahme der erwerbenden Person. […]

Schriftliche Antwort der Regierung vom 07.02.2023

Das neue Verfahren der SIWAS beschränkt sich indessen nicht auf die «Einvernahme» betroffener Personen; zusätzlich wird ein «Führungsbericht» erstellt – mitunter auf Vorrat:

[…] Die Praxis zeigt, dass viele erwerbende Personen einer meldepflichtigen Feuerwaffe zeitgleich oder zu einem späteren Zeitpunkt auch bewilligungspflichtige oder verbotene Feuerwaffen erwerben, wodurch ohnehin ein Führungsbericht mit Befragung nötig wird. Führungsberichte werden dabei nicht bei jedem Waffenerwerb, sondern nur beim Ersterwerb (mit Befragung) und anschliessend nach Ablauf von fünf Jahren (ohne Befragung) erstellt. Da eine Befragung nur einmal je erwerbende Person durchgeführt wird, entfällt dieser Aufwand beim späteren Erwerb einer bewilligungspflichtigen oder verbotenen Waffe. Bei diesem Vorgehen handelt [es] sich somit weitgehend nur um eine zeitliche Vorverlagerung der Arbeit und nur selten um einen effektiven Mehraufwand.

Schriftliche Antwort der Regierung vom 07.02.2023

In rechtlicher Hinsicht begründet die Regierung das neue Vorgehen ihres Waffenbüros folgendermassen:

Nach Art. 31 Abs. 1 Bst. b WG beschlagnahmt die zuständige Behörde Waffen aus dem Besitz von Personen, die einen Hinderungsgrund nach Art. 8 Abs. 2 WG erfüllen oder die zum Erwerb oder Besitz nicht berechtigt sind. Der Gesetzgeber legitimiert damit die zuständige Behörde, in eigenem Ermessen und unabhängig von einer bestimmten Waffenkategorie, periodische Überprüfungen – und damit auch eine Überprüfung anlässlich des Erwerbs einer Waffe – durchzuführen. Art. 31 WG gilt nach Wortlaut wie Systematik auch für die gemäss Art. 10 WG privilegierten Waffen. Die Privilegierung beim Erwerb einer Waffe nach Art. 10 WG erschöpft sich bereits darin, dass kein Waffenerwerbsschein notwendig ist (M. Bopp / J. Jendis, SHK Waffengesetz, 2017, Rz. 24 zu Art. 10 WG). Demnach gilt, dass die in Art. 8 Abs. 2 WG genannten waffenrechtlichen Hinderungsgründe allgemein dem Recht auf Waffenerwerb, Waffenbesitz und Waffentragen entgegenstehen (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 2C_1271/2012 vom 6. Mai 2013 Erw. 3.3). Die einschlägige Norm zum Waffenbesitz, Art. 12 WG, nennt zwar das Fehlen waffenrechtlicher Hinderungsgründe nicht ausdrücklich als Voraussetzung für das Recht auf Waffenbesitz. Solches ergibt sich aber durch den expliziten Verweis auf den rechtmässigen Erwerb (Art. 12 i.V.m. Art. 8 Abs. 2 WG bzw. Art. 10a Abs. 2 WG) wie auch implizit über die Regelung zur Beschlagnahme und Einziehung (Art. 31 WG; Urteil des Bundesgerichtes 2C_158/2011 vom 29. September 2011 Erw. 3.6).

Schriftliche Antwort der Regierung vom 07.02.2023

Zum eigentlichen Mehraufwand äussert sich die St.Galler Exekutive wie folgt:

Eine exakte Feststellung des Mehraufwands ist mangels strukturierter Daten bei der Kantonspolizei, ob es sich bei einem erfolgten Waffenerwerb um einen Ersterwerb handelt oder nicht, nicht möglich. Dies auch, da die Zahl der Waffenerwerbe in den letzten Jahren generell gestiegen ist. Ein Vergleich der verfügbaren Zahlen zeigt aber, dass sich der prozentuale Anteil von polizeilichen Führungsberichten mit Befragungen in Bezug auf die Gesamtzahl der Waffenerwerbsgesuche nicht merklich verändert hat. Vergleicht man die Anzahl der Waffenerwerbsgesuche (bewilligungspflichtige und verbotene Waffen) mit den effektiv durchgeführten Befragungen für Führungsberichte, ist keine aussergewöhnliche Steigerung erkennbar (2020 im Vergleich zu 2022): […]

Schriftliche Antwort der Regierung vom 07.02.2023

Abschliessend hält die Kantonsregierung fest, keinen Grund für ein Einschreiten zu sehen:

Das Vorgehen der Kantonspolizei erweist sich aufgrund der geschilderten Rechtslage und des marginalen Mehraufwands weder als bundesrechtswidrig noch als rechtsmissbräuchlich. Bei dieser Sachlage liegt nach Ansicht der Regierung kein Grund für ein Einschreiten vor.

Schriftliche Antwort der Regierung vom 07.02.2023

Würdigung

Nach welchen Voraussetzungen und welchem Prozess eine bestimmte Waffe erworben werden darf, sagt das eidgenössische Waffengesetz. Der einzuschlagende Weg wird anhand der Waffenqualität bestimmt. So kennt das Waffengesetz einerseits bewilligungsfreie (auch „meldepflichtige“, „freie“, „vertragspflichtige“ oder „privilegierte“; Art. 10 WG) und andererseits bewilligungspflichtige Waffen (Waffenerwerbsschein, Art. 8 WG; Ausnahmebewilligung, Art. 28b ff. WG). In beiden Prozessen wird ein Erwerber vorgängig auf Hinderungsgründe (Art. 8 Abs. 2 WG) überprüft: Im Bereich der meldepflichtigen Waffen muss diese Prüfung von der übertragenden Person durchgeführt werden (Art. 10a Abs. 2 WG). Im Falle bewilligungspflichtiger Waffen hat die zuständige Polizeibehörde als Bewilligungsinstanz zu prüfen (Art. 9 Abs. 1 bzw. Art. 5 Abs. 6 WG).

Bei Lichte betrachtet „addiert“ das St.Galler Waffenbüro neu beide Prozesse bei Ersterwerbern freier Waffen: Zuerst wird der Erwerber der vertragspflichtigen Waffe von der übertragenden Person auf Hinderungsgründe geprüft. Im Anschluss wird dieser Erwerber wieder auf Hinderungsgründe überprüft – nun von der Polizei. Damit schafft die SIWAS faktisch einen dritten Erwerbsprozess sui generis.

Auch wenn die Bestrebungen und Kapazitäten der SIWAS im Kern löblich sein mögen, ist ein solches „Doppelverfahren“ im Waffengesetz m. E. nicht vorgesehen. Art. 10a WG weist die Prüfpflicht im Falle freier Waffen einzig der übertragenden Person zu. Art. 18 Abs. 1 WV unterstreicht diese Tatsache. Die dargelegte Konzeption des Waffengesetzes vor Augen, scheint eine Dopplung contra legem ohnehin kaum sinnvoll: Der Ersterwerber würde innert kurzer Zeit zwei Mal aufs Gleiche geprüft. Eine derartige Prüfdichte verlangt das Waffengesetz selbst für den Erwerb von Seriefeuerwaffen nicht. Ferner existiert der Begriff des «Führungsberichts» weder im Waffengesetz noch in der Waffenverordnung. Gleiches – ich hoffe auf ein Versehen der Regierung – gilt für die «Einvernahme»; sie gehört in den Strafprozess (Art. 142 ff. StPO). Dass solche «Einvernahme[n]» und «Führungsberichte» gar auf Vorrat, d. h. mit Blick auf einen hypothetischen Erwerb einer bewilligungspflichtigen Waffe, praktiziert werden, ist im Waffengesetz erst recht nicht angedacht. Nach meinem Dafürhalten wird mit der neuen Praxis, wonach «die Kantonspolizei bei Erwerb einer meldepflichtigen Waffe die gleichen Abklärungen zur erwerbenden Person tätigt wie beim Erwerb von bewilligungspflichtigen oder verbotenen Waffen», die gesetzliche Unterscheidung von vertragspflichtigen, erwerbsscheinpflichtigen und verbotenen Waffen sowie zugehörigen Erwerbsprozessen missachtet.

Natürlich sollen meine Ausführungen nicht dahingehend verstanden werden, dass mit Hinderungsgründen behaftete Personen Waffen erwerben oder besitzen dürfen. Der Verzicht auf die doppelte Überprüfung aller Ersterwerber freier Waffen würde einem Einschreiten im konkreten Verdachtsfall nicht entgegenstehen. Passend dazu wurde der behördliche Informationsfluss mit Einführung des Strafregistergesetzes erweitert. Die oben zitierte rechtliche Begründung der Regierung wäre eigentlich auf solche Einzelfälle zugeschnitten.

Zum Schluss darf ich hoffen, dass dieses „Doppelverfahren“ keine Verbreitung finden wird. Da der Kanton St.Gallen auch meines Wissens der einzige Kanton ist, der eine solche Praxis pflegt, scheint ein Nachahmen immerhin unwahrscheinlich.