Das Gutachten dominiert die Gefährdungsfrage


Das Zürcher Verwaltungsgericht stützt sich auf das vorinstanzlich eingeholte Gutachten und gibt einem IV-Rentner Waffen und Munition zurück; die Kosten trägt das Statthalteramt.

Prozessgeschichte

Die Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich hat gegen einen IV-Rentner ein Strafverfahren wegen Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB) geführt. Im Rahmen dieses Strafverfahrens wurde beim beschuldigten Rentner im September 2020 eine Hausdurchsuchung durchgeführt, anlässlich derer mehrere Waffen sowie Munition sichergestellt wurden. Im Juni 2021 erstellte der den Rentner behandelnde Psychiater auf Geheiss der Staatsanwaltschaft einen ärztlichen Befund; in diesem wurden eine rezidivierende depressive Störung (leichte Episode), ein Verdacht auf emotional instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline Typus) und ein Status nach Störung durch Substanzgebrauch (seit Jahren abstinent) diagnostiziert. Im Juli 2021 stellte die Staatsanwaltschaft das gegen den Rentner geführte Strafverfahren ein und überliess die sichergestellten Gegenstände dem Statthalteramt zur Prüfung einer waffengesetzlichen Einziehung.

In der Folge veranlasste das Statthalteramt mit Einverständnis des Rentners ein medizinisches Gutachten, welches Ende November 2021 von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erstattet wurde. Dieser Gutachter kam zum Schluss, dass aus medizinisch-psychiatrischer Sicht nichts gegen die Rückgabe der Lang- und Faustfeuerwaffen spreche.

Mit Verfügung vom 17. Februar 2022 zog das Statthalteramt die sichergestellten Gewehre und Pistolen einschliesslich Munition ein. Zudem wurde verfügt, dass die eingezogenen Waffen einem Waffenhändler verkauft und der Erlös an den Rentner ausbezahlt werde, sofern die Kosten dieser Verfügung beglichen seien, ansonsten der Erlös mit den Gebühren und Auslagen verrechnet werde. Die Kosten für die Beschlagnahme, Aufbewahrung und Begutachtung wurden dem Rentner auferlegt.

Urteil des Verwaltungsgerichts

Im mittlerweile rechtskräftigen Urteil VB.2022.00425 vom 3. Oktober 2024 hatte das Verwaltungsgericht Zürich die Rechtmässigkeit der obgenannten Verfügung des Statthalteramts zu prüfen.

Die neuerliche Begutachtung war nicht anzuzweifeln:

Dr. F verfügt als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über hinreichende Sachkenntnisse zur Beurteilung des psychischen Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers sowie zu einer Prognose betreffend dessen Gefährdungspotenzial. Er bewies diese Sachkenntnisse mit seinem vollständigen, klaren, gehörig begründeten, nachvollziehbaren und widerspruchslosen Gutachten vom 29. November 2021 (oben, E. 3.2). Indizien, die die Überzeugungskraft seiner Feststellungen ernstlich erschüttern würden, liegen keine vor. Insbesondere sind solche entgegen der Begründung des erstinstanzlichen Entscheids auch nicht im ärztlichen Befund des behandelnden Psychiaters vom 15. Juni 2021 (oben, E. 3.1) auszumachen, nachdem dieser lediglich eine Verdachtsdiagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus stellte, diese aber nicht näher begründete und Anzeichen für ein selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten verneinte.

Es liegen somit keine Gründe vor, um von der gutachterlichen Beurteilung abzuweichen (oben, E. 2.5).

Urteil des Verwaltungsgericht ZH VB.2022.00425 vom 03.10.2024 E. 4.1

Dementsprechend verneinte das Verwaltungsgericht eine Selbst- oder Drittgefährdung mit der Waffe (Art. 8 Abs. 2 lit. c WG); auch merkwürdiges Verhalten des Rentners soll daran nichts ändern:

Eine Selbst- oder Drittgefährdung durch Schusswaffen kann bei keinem Waffenbesitzer zum Vornherein vollständig ausgeschlossen werden. Eine Beschlagnahme bzw. Einziehung von Waffen gestützt auf den Hinderungsgrund nach Art. 8 Abs. 2 lit. c WG ist indes erst dann gerechtfertigt, wenn eine erhebliche bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Selbst- oder Drittgefährdung besteht (oben, E. 2.3). Mit Blick auf das Verhalten des Beschwerdeführers, welches Anlass zur Hausdurchsuchung gegeben hat, erscheint es als nachvollziehbar, dass die zuständigen Behörden die Waffen aufgrund ihres damaligen Kenntnisstands sichergestellt haben. Im Nachgang hat der Beschwerdegegner den Sachverhalt vertieft abgeklärt und insbesondere das Gutachten von Dr. F eingeholt. Es ist dem Beschwerdegegner darin zuzustimmen, dass ein Rezidiv der Depression und der Suizidgedanken beim Beschwerdeführer naturgemäss nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Dies ist indes keineswegs gleichzusetzen mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Selbst- oder Drittgefährdung und vermag eine solche nicht zu begründen.

Massgebend ist der fachmännisch beurteilte psychische Zustand der betroffenen Person (oben, E. 2.4). Diesbezüglich hielt der behandelnde Psychiater fest, der Zustand des Beschwerdeführers sei unter der antidepressiven Medikation stabil, in den rund zehn Behandlungsjahren habe es keine Anzeichen für selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten gegeben (oben, E. 3.1). Damit übereinstimmend kam der Gutachter zum Schluss, es liege keine krankheitswertige psychische Störung vor, die Prognose könne als günstig bis sehr günstig eingestuft werden, es spreche aus medizinisch psychiatrischer Sicht nichts gegen die Rückgabe der Waffen (oben, E. 3.2). Nachdem auf das Gutachten in medizinischer Hinsicht unbestrittenermassen abgestellt werden kann (oben, E. 4.1 und E. 4.2.1), lässt sich aus dem psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers keine relevante Selbst- oder Drittgefährdung unter Verwendung einer Waffe ableiten (oben, E. 2.3–4). Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse dieses Gutachtens ändern auch die unter Sachverhalt I.A geschilderten Vorfälle nichts an der Einschätzung der Drittgefährdung.

Urteil des Verwaltungsgericht ZH VB.2022.00425 vom 03.10.2024 E. 4.3

Zwar bestätigte das Zürcher Verwaltungsgericht eine unsorgfältige Aufbewahrung – die verschlossene Haustüre soll nicht (mehr) genügen –, ein Hinderungsgrund ergibt sich daraus aber nicht:

Vorliegend bestand die vom Beschwerdeführer getroffene Sicherheitsmassnahme einzig darin, dass er die Waffen einschliesslich Munition in seiner abgeschlossenen Wohnung aufbewahrte, wo sie indes grösstenteils kaum versteckt und frei zugänglich waren (vgl. oben E. 4.2.2). Dies genügt nicht (vgl. BGr, 9. Oktober 2014, 6B_884/2013, E. 3.4.3), woran entgegen dem Beschwerdeführer nichts ändern würde, wenn die Strafbehörden das Strafverfahren nicht auf den Tatbestand des unsorgfältigen Aufbewahrens von Waffen und Munition ausgedehnt haben sollten. Es ist darauf hinzuweisen, dass diesbezüglich nicht nur eine unterbliebene Ausdehnung des Strafverfahrens, sondern selbst ein entsprechender Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung keine Bindungswirkung entfalten würden, kann doch im Verwaltungsverfahren zuungunsten eines Beschuldigten ein Sachverhalt als erstellt gelten, der im Strafverfahren etwa aufgrund des Grundsatzes „in dubio pro reo“ als nicht bewiesen galt (vgl. BGE 134 V 315 E. 4.5.3; BGr, 26. August 2016, 8C_78/2016, E. 3.2; VGr, 4. Oktober 2018, VB.2018.00260, E. 5.3.3). Der Beschwerdeführer bestreitet denn auch nicht, dass die Waffen einschliesslich Munition in seiner Wohnung frei zugänglich waren.

So oder anders kann entgegen der Vorinstanz nicht bereits aus der behördlicherseits erstmalig beanstandeten ungenügenden Aufbewahrung eine Fremd- oder Selbstgefährdung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG im konkreten Fall abgeleitet werden. Analoges gilt für den vorinstanzlich angeführten Verstoss gegen den Munitionsbefehl der Armee, welcher sich in der Aufbewahrung von 50 Schuss Armeemunition erschöpfte.

Urteil des Verwaltungsgericht ZH VB.2022.00425 vom 03.10.2024 E. 4.4.3

Auch eine „prognostische Gesamtbetrachtung“ ergab nichts anderes:

Ins Gewicht fällt schliesslich, dass der Beschwerdeführer bisher mit keinerlei drohendem Verhalten aufgefallen ist (vgl. die entsprechende Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. Juli 2021). Stimmigerweise erachtete die Kantonspolizei auch unter den anlässlich der Hausdurchsuchung vom 11. September 2020 sichergestellten 27’007 Filmen und 1’715’254 Bildern keine Daten als strafrechtlich relevant, worauf der Beschwerdeführer zu Recht hinwies.

Auch aus einer Gesamtbetrachtung ergibt sich somit prognostisch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Selbst- oder Fremdgefährdung unter Verwendung einer Waffe durch den Beschwerdeführer im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG.

Urteil des Verwaltungsgericht ZH VB.2022.00425 vom 03.10.2024 E. 4.5

Diesem Ausgang entsprechend waren die sichergestellten Waffen samt Munition herauszugeben. Die Verfahrenskosten wurden folgerichtig dem Statthalteramt auferlegt. Da die angefochtene Verfügung aufzuheben war, hatte das Statthalteramt auch die Kosten der Begutachtung zu tragen, wobei das Verwaltungsgericht nicht ausschloss, im Vertrauensschutz ebenfalls einen Grund zur Auferlegung der Kosten zu sehen:

Ausgangsgemäss sind die Kosten des Rekurs- und des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdegegner aufzuerlegen. Selbst zu tragen hat der Beschwerdegegner infolge Aufhebung seiner Verfügung vom 17. Juni 2022 die erstinstanzlich dem Beschwerdeführer auferlegten Kosten der Begutachtung durch Dr. F über Fr. 2’100.–. Sollte dieser Betrag vom Beschwerdeführer an den Beschwerdegegner bezahlt worden sein, so wäre er wie beantragt (oben, E. III) zurückzuerstatten. Offenbleiben kann bei diesem Ausgang, ob der Beschwerdegegner die Kosten des Gutachtens auch gestützt auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes hätte übernehmen müssen.

Urteil des Verwaltungsgericht ZH VB.2022.00425 vom 03.10.2024 E. 6.1