Die 2. Kammer des Strafgerichts des Obergerichts des Kantons Aargau hatte sich in ihrem Urteil SST.2024.62 vom 17. September 2024 mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen ein Fahrzeug (im Kanton Aargau) von der Polizei durchsucht und eine so gefundene Waffe – in casu ein Schlagstock – als Beweismittel verwertet werden darf.
Dem Fund soll eine Verkehrskontrolle vorangegangen sein:
Gemäss dem Polizisten C._____ bestanden beim Beschuldigten anlässlich der Verkehrskontrolle vom 8. August 2023, für die es keinen bestimmten Grund gegeben habe (vgl. Art. 5 SKV), Anzeichen von Fahrunfähigkeit, weshalb ein Vortest durchgeführt worden sei (act. 65). Ein solcher Vortest nach Art. 10 Abs. 2 SKV wird im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Tätigkeit durchgeführt und stellt keine polizeiliche Ermittlungshandlung im Rahmen der Strafverfolgung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 StPO resp. Art. 306 ff. StPO dar (BGE 146 IV 88 E. 1.4.2 und E. 1.5.1). Hierfür kommt dementsprechend die Polizeigesetzgebung des Kantons Aargau zur Anwendung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 7B_258/2022 vom 18. Januar 2024 E. 2.1.1).
Urteil des Obergerichts AG SST.2024.62 vom 17.09.2024 E. 2.2.2
Sodann erläutert das Obergericht die Voraussetzungen von Personenkontrollen resp. der Durchsuchung von Sachen nach aargauischem Polizeigesetz:
[…] Unter dem Titel „Personenkontrolle und polizeiliche Anhaltung“ bestimmt § 29 PolG, dass die Polizei in begründeten Fällen Personen zur Verhinderung oder Aufdeckung von Straftaten und zur Abwehr von Gefahren kontrollieren kann (Abs. 1). Sie kann ihre Personalien überprüfen und abklären, ob nach ihnen oder nach Sachen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, gefahndet wird. Die kontrollierten Personen sind verpflichtet, auf Verlangen ihre Personalien anzugeben, mitgeführte Ausweise vorzulegen, Sachen in ihrem Gewahrsam vorzuzeigen und zu diesem Zweck Behältnisse sowie Fahrzeuge zu öffnen (Abs. 2). Eine Personenkontrolle und damit die in dessen Rahmen vorgenommene Pflicht, Sachen in ihrem Gewahrsam vorzuzeigen und zu diesem Zweck Behältnisse sowie Fahrzeuge zu öffnen, darf nicht beliebig und voraussetzungslos erfolgen. Eine verdachts- und ereignisunabhängige Personenkontrolle ist nach aargauischem Recht nicht zulässig. Solche Kontrollen sollen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 7B_258/2022 vom 18. Januar 2024 E. 2.2.1) in erster Linie auf „Personen in unklaren Situationen“ zielen, somit auf Personen, die aufgrund der Umgebung oder des Verhaltens auffällig sind. Demnach sind Personenkontrollen nur zulässig, wenn sie der Abwehr einer Gefahr oder der Beseitigung einer Störung dienen. Es ist ein spezifischer Anfangsverdacht erforderlich oder es müssen besondere Ereignisse vorliegen. Verdacht schöpfen bedeutet, zu vermuten, ein Ereignis könnte eine Straftat, eine bestimmte Person ein Straftäter sein. Bei einem Anfangsverdacht wird abgeklärt, ob überhaupt eine Straftat vorliegt und ob eine Person als Täter in Frage kommt (Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau SST.2010.59 vom 6. Mai 2010 E. 6.4.1 mit Hinweis auf, ANDREAS BAUMANN, Aargauisches Polizeigesetz: Praxiskommentar, Aarau 2006, N. 296 und N. 298 f. zu § 29 PolG).
§ 39 Abs. 1 PolG statuiert, dass die Polizei Fahrzeuge und andere bewegliche Sachen durchsuchen kann, wenn diese von Personen mitgeführt werden, die gemäss § 38 durchsucht werden dürfen (lit. a), der Verdacht besteht, dass sich im Fahrzeug oder in der beweglichen Sache eine Person befindet, die widerrechtlich festgehalten wird oder die in Gewahrsam zu nehmen ist (lit. b), der Verdacht besteht, dass sich im Fahrzeug oder in der beweglichen Sache ein Gegenstand befindet, der sicherzustellen ist (lit. c) oder dies zum Schutz der Polizisten oder des Polizisten erforderlich erscheint (lit. d). Eine Fahrzeugdurchsuchung gestützt auf diese Bestimmung darf – ebenso wie nach § 29 Abs. 2 PolG und Art. 215 Abs. 2 lit. d StPO – nicht voraussetzungslos erfolgen. Es bedarf bei einer Durchsuchung nach lit. c eines gewissen Verdachts auf sicherzustellende Gegenstände und nach lit. d eines gewissen Verdachts, dass eine solche Durchsuchung zum Schutz der Polizisten notwendig ist.
Urteil des Obergerichts AG SST.2024.62 vom 17.09.2024 E. 2.2.3
Nach der Feststellung, dass vorliegend eine Durchsuchung und nicht bloss eine „Grobkontrolle“ stattgefunden hat (Öffnen des Fahrzeugs sowie Sichten des Seitenfachs, Handschuhfachs, Fussraums und Kofferraums; E. 2.2.4.1), verneint das Aargauer Obergericht das Bestehen eines Verdachts:
Für die Durchsuchung des Fahrzeugs des Beschuldigten hätte es einen Verdacht gebraucht, wobei ein solcher nicht vorlag. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Polizisten das Fahrzeug des Beschuldigten durchsuchten, da sie von einer Gefahr in Verzug ausgegangen sind. Dies wäre jedoch Voraussetzung, dass die Handlung der Polizisten unter diesem Titel gerechtfertigt und damit rechtmässig erscheinen könnte. Es ist nicht hinreichend, dass später eine Waffe im Fahrzeug des Beschuldigten entdeckt wurde. Damit würde jede Beweiserhebung, auch eine unzulässige „fishing expedition“ gerechtfertigt, sofern sich dabei Beweise haben feststellen lassen. Diese Argumentation der Staatsanwaltschaft verfängt somit nicht.
Aus den Akten ergeben sich sodann auch keine Hinweise, dass die polizeiliche Fahrzeugdurchsuchung erfolgte, weil ein Verdacht bestand, der Beschuldigte könnte darin Betäubungsmittel haben. Das Bundesgericht hat entsprechend festgehalten, dass die nach Art. 10 Abs. 2 SKV erforderlichen Hinweise dafür, dass die kontrollierte Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig sei und in diesem Zustand ein Fahrzeug geführt habe, nicht mit einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO gleichzusetzen seien und die Polizei im Rahmen ihrer sicherheitspolizeilichen Tätigkeit befugt sei, einen Vortest nach Art. 10 Abs. 2 SKV anzuordnen (BGE 146 IV 88 E. 1.4.2). Hinzu kommt, dass eine solche Fahrzeugdurchsuchung in der vorliegenden Konstellation unverhältnismässig erscheint, wenn der Fahrzeuglenker – wie hier – beim Vortest mitwirkt, dadurch innert Kürze Gewissheit hinsichtlich eines Verdachts auf Betäubungsmittelkonsum besteht und auch kein in anderer Weise begründeter Verdacht auf einen Verstoss im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln vorliegt.
Urteil des Obergerichts AG SST.2024.62 vom 17.09.2024 E. 2.2.4.2
Das Finden des Schlagstocks erweist sich – eine schwere Straftat i. S. v. Art. 141 Abs. 2 StPO stand nicht zur Debatte – aufgrund der unzulässigen Fahrzeugdurchsuchung als nicht verwertbar; ein Freispruch resultierte:
Bei den Voraussetzungen, unter welchen eine Durchsuchung eines Fahrzeuges im obigen Sinn zulässig ist, handelt es sich um Gültigkeitsvorschriften. Der Umfang von Kontrollen durch die Polizei darf nicht beliebig ausgeweitet werden und in einer „fishing expedition“ enden. Der aufgefundene Schlagstock und die darauf basierende Einvernahme des Beschuldigten sind daher und da keine schwere Straftat vorliegt, nicht verwertbar. Der Beschuldigte ist mangels Beweisen freizusprechen.
Urteil des Obergerichts AG SST.2024.62 vom 17.09.2024 E. 2.2.5
Ob im Rahmen einer „Grobkontrolle“ gewonnene Beweise verwertbar gewesen wären, konnte das Gericht offenlassen (E. 2.2.4.3).