Mit Urteil 2C_38/2025 vom 11. Juni 2025 nahm sich das Bundesgericht einem Beschwerdeführer aus dem Kanton Nidwalden an, der einen Waffenerwerbsschein sowie eine Ausnahmebewilligung erlangen wollte und sich gegen das polizeilich verfügte Einholen eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens zur Wehr setzte. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragte er primär die Aufhebung des Nidwaldner Verwaltungsgerichtsentscheids sowie die Erteilung der Bewilligungen ohne Einholung eines Gutachtens.
Interessant ist hierbei, dass im August 2018 Waffen und weitere Gegenstände des Beschwerdeführers strafprozessual beschlagnahmt worden sind und er forensisch-psychiatrisch begutachtet worden ist. Das Strafverfahren wurde eingestellt. Sodann hat die Kantonspolizei Nidwalden erfolglos die Einziehung dieser Sachen verfügt: Mit Entscheid VA 21 28 vom 14. März 2022 hat das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden die Herausgabe der Gegenstände angeordnet. Entsprechend musste der Beschwerdeführer damals frei von waffengesetzlichen Hinderungsgründen gewesen sein.
Bemerkenswert ist, dass sich die Vorinstanz – trotz eingestelltem Strafverfahren, forensisch-psychiatrischer Begutachtung und gescheiterter verwaltungsrechtlicher Einziehung – (wieder) auf die Ereignisse aus dem Jahr 2018 stützte – und damit durchdrang: Das Bundesgericht billigte das Recyceln der strafrechtlich, verwaltungsrechtlich sowie forensisch-psychiatrisch erledigten Vergangenheit des Beschwerdeführers.
Begründung des Bundesgerichts
Vorab äusserte sich das Bundesgericht zur Verdachtsschwelle, welche eine Begutachtung erlaubt:
Art und Wahrscheinlichkeit einer Selbst- oder Drittgefährdung nach Art. 8 Abs. 2 lit. c WG beschlagen Tatfragen und können als solche Gegenstand eines Gutachtens sein (Urteil 2C_955/2019 vom 29. Januar 2020 E. 3.3). Die Anordnung eines entsprechenden Gutachtens setzt nicht voraus, dass eine Selbst- oder Drittgefährdung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits erstellt ist. Durch das Gutachten soll dieser Gesichtspunkt gerade geklärt werden. Genügend sind hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen des Hinderungsgrunds von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, haben in erster Linie die kantonalen Behörden zu beurteilen. […]
Urteil des Bundesgerichts 2C_38/2025 vom 11.06.2025 E. 4.2
Das Wiederverwenden des eingestellten Strafverfahrens billigte das Bundesgericht aus prozessualen Gründen:
Vorliegend kam es im Jahr 2020 zur Verfahrenseinstellung, weil die betroffenen Personen die Strafanträge gegen den Beschwerdeführer zurückzogen (angefochtenes Urteil E. 2.4 S. 11 f.). Die Vorinstanz durfte bei dieser Ausgangslage auf das Verhalten des Beschwerdeführers abstellen, das im Jahr 2018 zur Eröffnung eines Strafverfahrens führte. Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang nicht (substanziiert) geltend, das kantonale Gericht habe den Sachverhalt willkürlich festgestellt.
Urteil des Bundesgerichts 2C_38/2025 vom 11.06.2025 E. 4.4.2
Für das Bundesgericht bleibt es demnach bei den Feststellungen der Vorinstanz über die Vorkommnisse aus dem Jahr 2018. Demnach drohte der Beschwerdeführer, das Personalabteilungs-Team und den Sohn des General Managers seiner damaligen Arbeitgeberin zu erschiessen. Ebenfalls für das Bundesgericht verbindlich ist die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer eine geladene Waffe mit Schalldämpfer in einem Wäschekorb nahe der Eingangstüre versteckte.
Urteil des Bundesgerichts 2C_38/2025 vom 11.06.2025 E. 4.4.3
Das Bundesgericht erlaubte das Recyceln des Begutachtungsbedarfs, weil der Beschwerdeführer neu um «eine andere Bewilligungskategorie» (präziser: eine neue Gegenstandskategorie) ersucht hat:
[…] Das im Jahr 2024 eingeleitete Verfahren bezieht sich unter anderem auf eine verbotene Seriefeuerwaffe, für die eine Ausnahmebewilligung erforderlich ist. Der Beschwerdeführer ist zwar bereits Inhaber mehrerer Waffenerwerbsscheine und einer Ausnahmebewilligung für einen Schalldämpfer. Er verfügt aber (noch) nicht über eine Ausnahmebewilligung für eine verbotene Seriefeuerwaffe. Wie die Vorinstanz zu Recht hervorhebt, unterscheidet sich damit das gegenwärtige Bewilligungsverfahren von früheren Verfahren, welche ebenfalls die persönliche Eignung des Beschwerdeführers nach Art. 8 Abs. 2 lit. c WG zum Thema hatten. Der präventive Charakter der Hinderungsgründe (E. 4.1 hiervor) verlangt von den Behörden, das im Einzelfall bestehende Risiko einer zweckwidrigen Verwendung einer Waffe auch ins Verhältnis zur Gefährlichkeit des bewilligungspflichtigen Gegenstands zu setzen. Der Hinderungsgrund von Art. 8 Abs. 2 lit. c WG ist mit anderen Worten bezogen auf den in Frage stehenden bewilligungspflichtigen Tatbestand zu beurteilen. Damit unterscheidet sich der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens von dem im Jahr 2022 abgeschlossenen Herausgabeverfahren.
Urteil des Bundesgerichts 2C_38/2025 vom 11.06.2025 E. 4.5.1
Weiter sei das damalige Gutachten vielleicht nicht mehr aktuell genug:
Weiter begründet das kantonale Gericht gestützt auf den auch für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalt (E. 4.4.3 hiervor) schlüssig, weshalb beim Beschwerdeführer weitergehender Abklärungsbedarf besteht. Daran vermag das Gutachten aus dem Jahr 2018 nichts zu ändern. Im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils war diese Expertise über sechs Jahre alt. In der forensisch-psychiatrischen Literatur und Praxis wird auf den beschränkten Zeithorizont von Gefährlichkeitsprognosen hingewiesen (URWYLER/ENDRASS HACHTEIL/GRAF, Handbuch Strafrecht, Psychiatrie, Psychologie, 2022, S. 135 Rz. 326 i.V.m. S. 141 Rz. 340; MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, StrafrechtI, 4. Aufl. 2019, N. 68a zu Art. 59 StGB; Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel (Hrsg.), Kriterien zur Beurteilung der Legalprognose [„Basler Kriterienkatalog“], 2. Aufl. 2017, S. 2 [Vorbemerkungen Ziff. 8]). Wenn die Vorinstanz vor diesem Hintergrund davon ausgeht, eine erneute Begutachtung sei angezeigt, ist dies nachvollziehbar. […]
Urteil des Bundesgerichts 2C_38/2025 vom 11.06.2025 E. 4.5.2
Würdigung
Da diese Entscheidung in grundsätzlicher Hinsicht problematisch sein kann, erlaube ich mir die nachstehenden, nicht abschliessenden Überlegungen.
Die offenbar fehlende (hinreichend substanziierte) Rüge der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung – so selten man damit durchdringen mag – wirkte sich zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus, erinnert aber daran, dass nicht pauschal auf ein mit Freispruch abgeurteiltes (vgl. Art. 320 Abs. 4 StPO) Strafverfahren zurückgegriffen werden kann. Wenn auch die Verwaltungsbehörde einen strengeren Massstab anlegen darf, zeigt die bisherige Rechtsprechung, dass die rechtskräftige Beurteilung im Strafverfahren durchaus eine Sperrwirkung entfaltet.1 Weshalb die Vorinstanz «bei dieser Ausgangslage auf das Verhalten des Beschwerdeführers abstellen [durfte], das im Jahr 2018 zur Eröffnung eines Strafverfahrens führte», erschliesst sich nicht ohne Weiteres. Der Rückzug von Strafanträgen alleine spricht jedenfalls nicht für den materiellen Wahrheitsgehalt der (zurückgezogenen) Vorwürfe.
M. E. wenig überzeugend ist das Argument des Gerichts, wonach das Ersuchen um eine Erwerbsbewilligung für Gegenstände einer (aus Sicht des Gesuchstellers) neuen Kategorie das Wiederverwenden eines verwaltungsrechtlich abgeurteilten Sachverhalts erlauben soll, denn: Der Hinderungsgrund nach Art. 8 Abs. 2 lit. c WG steht der Erteilung jeder waffengesetzlichen Bewilligung gleichermassen entgegen. Die Art des begehrten Gegenstandes ist demnach egal. Die zu klärende Frage ist denn auch stets dieselbe: Gibt der Gesuchsteller (mit hinreichender Wahrscheinlichkeit) zur Annahme Anlass, sich selbst oder Dritte mit der Waffe zu gefährden? Ich kann mir nicht vorstellen, wie diese Frage für den Erwerb einer halbautomatischen resp. vollautomatischen Pistole je konträr beantwortet werden kann. Ferner ist fraglich, inwiefern sich – entgegen der gerichtlichen Behauptung – das Bewilligungsverfahren für den Erwerb eines Schalldämpfers überhaupt von jenem für den Erwerb einer Seriefeuerwaffe unterscheidet.
Interessant ist letztlich der bundesgerichtliche Hinweis auf den beschränkten zeitlichen Horizont einer Gefährlichkeitsprognose. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass eine solche einer gewissen Halbwertszeit unterliegt. Wer früher „harmlos“ war, könnte heute „gefährlich“ sein – und umgekehrt. Gerade vor diesem Hintergrund scheint es aber inkonsequent, dem Ereignis aus dem Jahr 2018 nun für die Frage des erneuten Begutachtungsbedarfs den noch immer gleichen Stellenwert zuzumessen.
- Zum Vorrang der Beurteilung im Strafverfahren: ArmaLex-Beitrag vom 1. August 2024; zum Nichtgenügen eines eingestellten Strafverfahrens: ArmaLex-Beitrag vom 11. Dezember 2023. ↩︎