Das Straf- bzw. Strafprozessrecht gibt Behörden Möglichkeiten an die Hand, im Rahmen eines Strafverfahrens Gegenstände zu beschlagnahmen, einzuziehen und letztlich zu vernichten. Im Verwaltungsverfahren liefert Art. 31 WG Grundlagen, um primär Waffen beschlagnahmen und einziehen zu können. Was tut man aber, wenn man ausserhalb eines Strafverfahrens gefährliche Gegenstände, die keine Waffen sind und nicht missbräuchlich getragen wurden (vgl. Art. 31 Abs. 1 lit. c WG), vom Eigner fernhalten will?
Mit dieser Frage sah sich die Fachstelle SIWAS der Kantonspolizei Aargau konfrontiert. Im jüngst veröffentlichten Beschluss des Regierungsrats des Kantons Aargau 2022-001291 vom 19. Oktober 2022 werden eine auf das kantonale Polizeigesetz gestützte Sicherstellung und die Zwangsübertragung bzw. Vernichtung gefährlicher Gegenstände bestätigt.
Sachverhalt
Anlässlich eines Falles vermuteter häuslicher Gewalt wurden am Wohnort des späteren Beschwerdeführers am 25. März 2020 ein Dolch, ein Bowiemesser, fünf Samuraischwerter und ein Karabiner mit Munition sichergestellt. Diese Gegenstände wurden nach Einstellung des Strafverfahrens am 21. Januar 2021 zur Durchführung eines verwaltungsrechtlichen Verfahrens an die SIWAS übergeben (vgl. Sachverhalt Aa).
Die SIWAS sprach dem Beschwerdeführer mit Entscheid vom 25. März 2021, unter Vorbehalt weiterer Abklärungen, die Waffenfähigkeit vorläufig ab und beschlagnahmte die sichergestellten Gegenstände. Ausserdem wurde ihm die Möglichkeit gegeben, seine Waffenfähigkeit durch ein fachärztliches psychiatrisches Gutachten abklären zu lassen – was m. E. eine eigene Erörterung wert wäre –, wovon der Betroffene keinen Gebrauch machte. Am 7. September 2021 erklärte der spätere Beschwerdeführer den Verzicht auf den Karabiner sowie den Dolch und gab diese Gegenstände zur Vernichtung frei (vgl. Sachverhalt Ab). Für die vorliegende Betrachtung relevant bleiben demnach die fünf beschlagnahmten Samuraischwerter sowie das Bowiemesser.
Mit Entscheid der SIWAS vom 6. Januar 2022 wurde dem baldigen Beschwerdeführer die Waffenfähigkeit definitiv abgesprochen – was m. E. ebenfalls eine Erörterung verdient hätte. Die sichergestellten gefährlichen Gegenstände wurden (nochmals) beschlagnahmt und (erstmals) eingezogen. Dem Beschwerdeführer wurde die Gelegenheit eingeräumt, diese Gegenstände innert drei Monaten unter Aufsicht der SIWAS einem Waffenhandelsbetrieb und/oder einer waffentauglichen Person zu veräussern, wobei die Vernichtung der gefährlichen Gegenstände angeordnet wurde, sollte eine Übertragung dieser Gegenstände innerhalb der angesetzten Frist nicht möglich sein (vgl. Sachverhalt Ac). Die Frage, weshalb die Übergabe an einen Waffenhändler oder eine waffentaugliche Person erfolgen soll, obwohl es sich bei den relevanten Gegenständen gar nicht um Waffen handelt, werde ich an dieser Stelle nicht vertiefen.
Am 4. Februar 2022 erhob der Betroffene beim Regierungsrat des Kantons Aargau Beschwerde gegen den obgenannten Entscheid der SIWAS. Im Wesentlichen verlangte er die Aufhebung der Beschlagnahmung, Einziehung und Vernichtung sowie die Herausgabe der erwähnten Gegenstände (vgl. Sachverhalt B).
Rechtliches
Wie eingangs verraten, werden die Sicherstellung und die Zwangsübertragung resp. Vernichtung des Bowiemessers sowie der Samuraischwerter auf das aargauische Gesetz über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit (Polizeigesetz, PolG-AG) gestützt:
Die KAPO, Fachstelle SIWAS, hat die fraglichen Gegenstände gestützt auf die §§ 40 ff. PolG sichergestellt und zur Verwertung respektive Vernichtung eingezogen. […]
Beschluss des Regierungsrats AG 2022-001291 vom 19.10.2022 E. 3.3
§ 40 PolG-AG regelt die Sicherstellung, während § 42 PolG-AG die Verwertung und Vernichtung normiert. Hierbei sollte auffallen, dass im PolG-AG – richtigerweise – weder eine Beschlagnahme noch die Einziehung geregelt ist. Dazu später mehr.
Jedenfalls verlangt eine Sicherstellung von Gegenständen gemäss § 40 Abs. 1 PolG-AG alternativ die Verhinderung einer Straftat, die Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr, die Abklärung der Eigentumsverhältnisse oder die Abklärung der Berechtigung zum Waffenbesitz und zum Waffentragen.
Die Verwertung einer sichergestellten Sache setzt nach § 42 Abs. 1 PolG-AG voraus, dass sie von der berechtigten Person trotz Aufforderung nicht innert drei Monaten abgeholt wird, niemand Anspruch auf die Sache erhebt, sie rasch an Wert verliert oder ihre Verwahrung, Pflege oder Erhaltung mit unverhältnismässig hohen Kosten oder Schwierigkeiten verbunden ist.
Die Vernichtung der sichergestellten Sache verlangt nach § 42 Abs. 2 PolG-AG, dass sie verwertet werden dürfte, die Kosten für die Aufbewahrung und Verwertung den erzielbaren Erlös aber offensichtlich übersteigen, oder die Vernichtung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich erscheint.
Erwägungen
Im Zentrum stehen die polizeigesetzliche Sicherstellung und Verwertung resp. Vernichtung. Der Regierungsrat hatte folglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen der oben erläuterten Bestimmungen des PolG-AG erfüllt sind.
Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung beschreibt der Regierungsrat in E. 3.3:
Die polizeilich verzeichneten Vorfälle wegen Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG), der regelmässige Konsum von Alkohol und Cannabis, der Vorfall häuslicher Gewalt vom 23. März 2020, die aktenkundigen Drohungen gegenüber Drittpersonen sowie das Vorliegen von Hinderungsgründen gemäss Art. 8 Abs. 2 WG respektive die definitive Aberkennung der Waffenbesitzfähigkeit des Beschwerdeführers bieten zusammen gewichtige Gründe zur Annahme, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit besteht. […]
Beschluss des Regierungsrats AG 2022-001291 vom 19.10.2022 E. 3.3
In der darauffolgenden Erwägungen erkennt der Regierungsrat erneut eine Gefährdung:
Die Fachstelle SIWAS hatte dem Beschwerdeführer zuvor ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, die vermuteten Hinderungsgründe gemäss Art. 8 Abs. 2 WG durch ein positives fachärztliches Gutachten der PDAG auszuschliessen, wovon der Beschwerdeführer aber keinen Gebrauch gemacht hat. Angesichts dessen, dass die Waffenbesitzfähigkeit somit anerkanntermassen nicht gegeben ist, der Beschwerdeführer auch die frühere Gelegenheit für eine fachärztliche Begutachtung nicht genutzt hat, um seine Waffenbesitzfähigkeit gutachterlich zu belegen, und selbst das relativierende Schreiben seines Psychiaters von einem Aggressionspotenzial des Beschwerdeführers ausgeht, sind zusammenfassend genügend konkrete und gewichtige Gründe für die Annahme vorhanden, dass vom Beschwerdeführer eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht und die Voraussetzungen für eine polizeiliche Sicherstellung gefährlicher Gegenstände damit (weiterhin) gegeben sind.
Beschluss des Regierungsrats AG 2022-001291 vom 19.10.2022 E. 3.4
Zur verlangten Unmittelbarkeit der drohenden Gefahr äussert sich der Regierungsrat nicht explizit. Gleiches gilt für die weiteren Voraussetzungen der Verwertung und der Vernichtung. Die Frage, weshalb man für den Besitz von Nichtwaffen scheinbar waffenbesitzfähig sein soll, wird ebenfalls nicht vertieft. Ungeachtet dessen kommt der Regierungsrat zum Schluss:
Aufgrund des Gesagten lassen sich die mit dem angefochtenen Entscheid der Fachstelle SIWAS angeordneten Massnahmen nicht beanstanden, insbesondere, weil auch das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit von Personen gegenüber dem privaten Interesse des Beschwerdeführers an einer umgehenden Herausgabe der fraglichen gefährlichen Gegenstände als gewichtiger einzustufen ist. Die verlangte Herausgabe der sichergestellten gefährlichen Gegenstände ist damit entsprechend dem präventiven Charakter der polizeilichen Sicherstellung nicht angezeigt. Die Beschwerde ist somit vollumfänglich abzuweisen.
Beschluss des Regierungsrats AG 2022-001291 vom 19.10.2022 E. 3.6
Würdigung
Nach meinem Dafürhalten hätte dieser Beschluss den entscheidwesentlichen Punkten, insbesondere den einzelnen Voraussetzungen der polizeilichen Massnahmen, mehr Beachtung und Tiefe widmen dürfen. Er scheint von einem gewissen – m. E. verständlichen – Pragmatismus geprägt. Zugleich wirft er Fragen auf: De jure ist die beurteilte Person nun (weiterhin) zu gefährlich, um zu Hause Messer zu besitzen (E. 3.4). Wie soll damit umgegangen werden? Lässt sich dieser Umstand mit Blick auf die «definitive Aberkennung der Waffenbesitzfähigkeit» (E 3.3), die für den Besitz von Messern offenbar wesentlich ist, ändern? Wo ist die «definitive Aberkennung der Waffenbesitzfähigkeit» – de facto eine präventive, individuell-abstrakte Feststellung von Hinderungsgründen auf Lebzeiten – im Waffengesetz geregelt?
Bedauerlich finde ich, dass die Begriffe bzw. Institute der Sicherstellung, Beschlagnahme und Einziehung scheinbar nicht sauber getrennt wurden. Vergleichen wir beispielsweise folgende Feststellung aus dem Sachverhalt
[…] Mit Entscheid der Fachstelle SIWAS vom 6. Januar 2022 wurde A. die Waffenfähigkeit definitiv abgesprochen. Die sichergestellten gefährlichen Gegenstände wurden beschlagnahmt und eingezogen. […]
Beschluss des Regierungsrats AG 2022-001291 vom 19.10.2022 Sachverhalt Ac
mit der späteren Erwägung
[…] Die Fachstelle SIWAS hat gemäss den Erwägungen des angefochtenen Entscheids vom 6. Januar 2022 ausdrücklich festgestellt, dass kein Fall einer Beschlagnahme gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. c WG vorliege. […]
Beschluss des Regierungsrats AG 2022-001291 vom 19.10.2022 E. 3.3
so darf man sich fragen, worauf sich diese Beschlagnahme stützt. Gleiches gilt für die Einziehung. Ein nicht missbräuchlich getragener gefährlicher Gegenstand kann ausserhalb eines Strafverfahrens gerade nicht „beschlagnahmt“ oder „eingezogen“ werden, weil weder das Waffengesetz noch das aargauische Polizeigesetz dies vorsehen. Damit verbundene Fragen nach möglichen Folgen einer gesetzlich nicht angedachten, aber scheinbar praktizierten Beschlagnahme und Einziehung wurden nicht erörtert. Da diese Institute mitunter Verfahrensgegenstand waren, hätte ich mir vom Regierungsrat eine diesbezügliche Auseinandersetzung gewünscht. Die knappe Feststellung
Die KAPO, Fachstelle SIWAS, hat die fraglichen Gegenstände gestützt auf die §§ 40 ff. PolG sichergestellt und zur Verwertung respektive Vernichtung eingezogen. […]
Beschluss des Regierungsrats AG 2022-001291 vom 19.10.2022 E. 3.3
verrät dem unbeteiligten Leser nicht, ob eine pragmatische Umdeutung oder ein redaktionelles Versehen stattgefunden hat, wobei auch der Regierungsrat eine Einziehung erwähnt, die es im PolG-AG nicht gibt.
Bei genauer Betrachtung erhellt weiter, dass die SIWAS – entgegen zuoberst zitierter Erwägung – keine echte Verwertung im Sinne des PolG-AG angeordnet hat: Spätestens § 41 Abs. 2 PolG-AG stellt klar, dass eine polizeigesetzliche Verwertung durch die Polizei – nicht durch den Betroffenen – vorzunehmen ist. Der Betroffene kann die Sache gar nicht selbst verwerten, ist sie doch sichergestellt. Diese Verfügung der SIWAS scheint vielmehr den Art. 31 Abs. 2bis ff. WG nachempfunden, die m. E. hier nicht anwendbar wären.
Man mag mich kleinlich nennen; ich wage aber zu behaupten, dass von professionellen Akteuren eine gewisse Präzision erwartet werden darf.