Waffenhändler darf keine anonym deponierten Waffen übernehmen


Die Kantonspolizei Thurgau untersagt einem Waffenfachhändler, anonym hinterlegte Waffen zu inventarisieren. Die ergangenen Entscheide werfen Fragen auf.

Seit Oktober 2022 untersagt die Fachstelle Waffen und Sprengstoffe der Kantonspolizei Thurgau einem Waffenfachhändler per Verfügung die Übernahme anonym deponierter Waffen, wesentlicher und besonders konstruierter Waffenbestandteile sowie Waffenzubehör in die eigenen Bücher. Im interessanten Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit TG 537/2022 vom 8. März 2023 wird der dagegen erhobene Rekurs abgewiesen.

Unübliches Verfahren

Das dahinterstehende Verfahren wirkt in verschiedener Hinsicht eigentümlich. Der spätere Rekurrent (Waffenhändler) musste sich zwei Mal an die Kantonspolizei wenden, um eine justiziable Verfügung zu erlangen (Sachverhalt B). Schliesslich erhielt er statt eines individuell-konkreten Entscheids eine Verfügung, deren Dispositiv «in unüblicher Weise allgemein gehalten» (E. I 3.3.4) und aus Sicht des Rekurrenten erklärungsbedürftig ist (Sachverhalt D). Vor dem urteilenden Departement behauptete die Kantonspolizei sodann «wider Treu und Glauben» (E. I 3.3.4), dass ihr Entscheid – trotz eigener Rechtsmittelbelehrung (!) – nicht anfechtbar sei.

Ursprung des Verfahrens ist die Befürchtung der Thurgauer Fachstelle Waffen und Sprengstoffe, dass Waffenhändler durch Aufnahme von anonym deponierten Waffen in die eigenen Bücher der illegalen Beschaffung oder der Verschleierung der Herkunft von Waffen Tür und Tor öffnen würden. Händler würden so als „Legalisierer“ illegaler Waffen für Kriminelle fungieren (Sachverhalt E). Der Entscheid der Polizei basiere nicht auf einer konkreten Begebenheit, sondern gründe in einer hypothetischen, zukünftigen Annahme (Sachverhalt E).

Der Waffenfachhändler hält dem angefochtenen Entscheid der Kantonspolizei diverse Argumente entgegen: Er macht u. a. geltend, das Waffengesetz und die Waffenverordnung enthielten keine Bestimmung, welche einem lizenzierten Waffenhändler generell die Entgegennahme anonym abgegebener oder herrenloser Waffen untersagt; gleichzeitig würden diese Erlasse nicht zur pauschalen Abtretung solcher Gegenstände an die Kantonspolizei verpflichten. Der öffentlichen Sicherheit und Ordnung würde nicht geschadet. Der Eingriff der Kantonspolizei sei zudem weder geeignet noch notwendig, um sein Ziel zu erreichen (Sachverhalt D und F). Weiter rügt der Waffenhändler eine Verletzung seiner Eigentums- und Wirtschaftsfreiheit (E. 1.1).

Würdigung

Hoheitliches Handeln verlangt eine rechtliche Grundlage (Art. 5 Abs. 1 BV) und muss im öffentlichen Interesse liegen sowie geeignet, erforderlich und zumutbar sein (Verhältnismässigkeit, Art. 5 Abs. 2 BV). Wird in Freiheitsrechte eingegriffen, muss die erforderliche Grundlage besondere Anforderungen erfüllen (vgl. Art. 36 BV).

In erster Linie hat die Rechtsmittelinstanz also zu klären, ob das Waffengesetz bzw. die Waffenverordnung (oder ein anderer Erlass) eine Norm enthält, welche Waffenfachhändlern das Inventarisieren anonym deponierter Waffen (und Waffenbestandteile etc.) untersagt. Würde bereits das verneint, wäre die Verfügung der Kantonspolizei aufzuheben. Falls dies stattdessen bejaht würde, wäre zu prüfen, ob ein solches Verbot den Schutzbereich eines Freiheitsrechts tangiert. Falls auch das bejaht würde, bliebe zu klären, ob das Eingreifen auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage basiert. Stellte sich die gesetzliche Grundlage als ungenügend heraus, müsste die Verfügung wiederum aufgehoben werden. In jedem Fall müssen die Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit des polizeilichen Handelns im Hinblick auf das angestrebte Ziel – ich vermute das Verhindern des illegalen Waffenhandels – bestätigt werden.

Zivilrecht im Fokus

Die urteilende Chefin des Departements für Justiz und Sicherheit bricht diese öffentlich-rechtliche Kaskade auf; die zentralen Erwägungen sind sachenrechtlicher und damit zivilrechtlicher Natur. Hierbei soll das Waffengesetz als lex specialis die Regeln des Zivilgesetzbuches verdrängen:

[…] Sowohl das Waffengesetz wie auch das ZGB sind Bundesgesetze. Die spezielle Rechtsnorm verdrängt indessen die allgemeine Rechtsnorm („Lex specialis derogat legi generali“). Hintergrund dessen ist die Überlegung, dass die speziellere Rechtsnorm eine sachnähere und damit -gerechtere Regelung des betreffenden Lebenssachverhalts trifft als die allgemeine, welche darüber hinaus noch weitere Konstellationen abdecken muss. Da das Waffengesetz zur Übertragung des Eigentums eigene Regeln beinhaltet, geht dieses Gesetz als sogenannte lex specialis dem ZGB vor.

Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit TG 537/2022 vom 08.03.2023 E. II 1.3.4

Nach meinem Dafürhalten äussert sich das Waffengesetz als öffentlich-rechtlicher Erlass nicht zur Übertragung des Eigentums im sachenrechtlichen Sinne: Das Waffengesetz sagt nicht, wer regulierte Fahrnissachen erwirbt; es sagt stattdessen, wer solche Gegenstände (wie) erwerben darf. Der Interpretation des Departements für Justiz und Sicherheit konsequent folgend, dürften sich Strafverteidiger und -verteidigerinnen freuen: Die Erwerbsvariante des Art. 33 Abs. 1 li. a WG könnte aufgrund unmöglichen unrechtmässigen Erwerbs nicht mehr erfüllt werden. Auch dieser Umstand spricht für meine Auslegung.

Weiter hält das Thurgauer Departement für Justiz und Sicherheit fest, dass anonym hinterlegte Waffen nicht verkehrsfähig seien:

Nach Art. 7b WG dürfen ausserdem Waffen, Waffenbestandteile usw. nur angeboten werden, wenn die anbietende Person identifizierbar ist. Dies bedeutet nicht anderes, als dass eine anonym abgegebene Waffe auch nach dieser Bestimmung des Waffengesetzes nicht eigentumsrechtlich erworben werden kann. Eine solche Waffe ist schlicht nicht verkehrsfähig. Der Entzug der Verkehrsfähigkeit einer Sache ist gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung wie bereits ausgeführt durch Spezialgesetze möglich. So insbesondere durch das Betäubungsmittelgesetz als auch das Waffengesetz. Wenn das Waffengesetz die Personalien der liefernden oder anbietenden Person als Erwerbsvoraussetzung vorsieht, ist ein rechtmässiger Eigentumserwerb bei Fehlen der Angaben zu dieser Person nicht möglich. So auch Art. 7b WG. Ein anonymes Anbieten einer Waffe, spricht dieser die Verkehrsfähigkeit nach dem Waffengesetz ab. Das anonyme Deponieren oder Anbieten einer Waffe schliesst somit einen Eigentumserwerb an dieser Waffe gestützt auf das Waffengesetz aus.

Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit TG vom 08.03.2023 E. II 3.1

Nebst den obigen Ausführungen ist hier anzumerken, dass diese Erwägung primär dem „anonymen Hinterleger“ und nicht dem Waffenhändler entgegenzuhalten wäre, denn der Waffenhändler beabsichtigt gerade nicht, übernommene Waffen anonym zu veräussern. Die von der Rekursinstanz leider nicht erörterte Anschlussfrage, ob ein lizenzierter Waffenfachhändler die (allenfalls verlorene) Verkehrsfähigkeit einer Waffe (wieder)herstellen kann – scheint das doch Teilzweck einer Waffenhandelsbewilligung zu sein –, würde den Rahmen vorliegenden Beitrags sprengen.

Öffentliches Recht?

Nach dem zivilrechtlichen Exkurs wird sich der aufmerksame Leser noch immer fragen, welches nun die hinreichende Rechtsgrundlage der polizeilichen Verfügung ist. Die entscheidrelevante Antwort liefert das angerufene Departement leider nicht explizit. Die Kantonspolizei Thurgau beruft sich scheinbar auf Art. 30 Abs. 2 lit. c WV (E. II 1.2). Wie erwähnt, schickt das Departement ferner Art. 7b WG ins Rennen und sieht eine Verletzung der Buchführungspflicht, wenn eine Waffe anonym übernommen wird:

[…] Ein Waffenhändler, welcher seiner Berufsbezeichnung entsprechend sowohl erwirbt als auch verkauft, muss bei seiner Buchführung gemäss Art. 30 Abs. 2 lit. c WV die Personalien der liefernden oder erwerbenden Person aufführen. Diese beiden Rechtsgeschäfte des Waffenhändlers laufen in der Regel nicht in einem einzigen Moment ab, sonder können mehrere Wochen, Monate oder gar Jahre auseinanderfallen. Sie müssen aber beide buchführungsmässig erfasst werden. Werden die Personalien der liefernden Person nicht erfasst, kommt der Waffenhändler seiner Buchführungspflicht nicht nach, sodass ein Verstoss gegen Art. 21 WG i. V. m. Art. 30 Abs. 2 lit. c WV vorliegen würde.

Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit TG vom 08.03.2023 E. II 2.1.6

Die Summe der genannten Bestimmungen dürfte bzw. müsste die notwendige, hinreichende rechtliche Grundlage darstellen. Ob diese Normen den Anforderungen von Art. 36 BV genügen, wurde nicht geprüft. Insofern folgerichtig, wenn kein Eingriff in die Eigentumsfreiheit (und die Wirtschaftsfreiheit) angenommen wird. Zum Verhältnis zur verwaltungsrechtlichen Beschlagnahme und Einziehung (Art. 31 WG) äussert sich der Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit nicht.

Die Rüge des Rekurrenten, wonach die Verfügung der Fachstelle Waffen und Sprengstoffe weder geeignet noch erforderlich sei, um ihr Ziel zu erreichen bzw. ihn von der Begehung von Straftaten abzuhalten (vgl. Sachverhalt F), wurde nicht behandelt.

Letztlich darf ich das eine oder andere Fragezeichen hinter dieses Verfahren und den gefällten Entscheid setzen. Aus handwerklicher Sicht scheinen die Rekursinstanz und insbesondere die Kantonspolizei wohl eher dürftig beraten. Mich interessiert, wie ein Gericht diesen Fall beurteilt hätte.

Künftiges Vorgehen?

Die bestätigte (Allgemein)Verfügung kann aufgrund der inexistenten Publikation bzw. Bindungswirkung gegenüber den anderen Waffenfachhändlern des Kantons Thurgau keine direkte Wirkung entfalten. Dennoch dürfte dieser Entscheid einstweilen eine indirekte, kantonale Präzedenzwirkung entwickeln.

Die Konklusion der Rekursinstanz betreffend die Folgen eines Waffenfundes ist knapp:

[…] Die nicht verkehrsfähige Sache ist vom Staat einzuziehen und der Vernichtung zuzuführen. Da der Waffenhändler nicht Eigentümer anonym hinterlegter Waffen werden kann, ist er gehalten, solche Waffen der Polizei weiterzuleiten. Ansonsten macht er sich der fehlerhaften Buchführungspflicht schuldig. Wer Verpflichtungen nach Art. 21 WG verletzt, kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden (Art. 33 Abs. 1 lit. d WG).

Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit TG vom 08.03.2023 E. II 4.3

Abgesehen davon, dass eine Weitergabe gefundener Waffen scheinbar nicht Teil des vorinstanzlichen Dispositivs ist, den Finder keine Garantenstellung treffen dürfte und ein Nicht-Weiterleiten von Waffen alleine nicht tatbestandsmässig ist, müsste die folgerichtige „Thurgauer Praxis“ in Gänze so aussehen:

Die Kantonspolizei Thurgau denkt in solchen Fällen offenbar an (versuchten) illegalen Waffenhandel (vgl. Sachverhalt E). Abhängig von der Ausgestaltung stünde damit ein Vergehen (Art. 33 Abs. 1 WG) oder ein Verbrechen (Art. 33 Abs. 3 WG; evtl. Art. 260quater StGB) im Raum. Im Mindesten hätte der anonyme Hinterleger eine Waffe unsachgemäss aufbewahrt (Art. 34 Abs. 1 lit. e WG). Konsequenterweise würde die Polizei nach solchen Feststellungen ihrer gesetzlichen Pflicht (Art. 7 Abs. 1 StPO i. V. m. Art. 12 lit. a StPO) nachgehen und ein Ermittlungsverfahren gegen die unbekannte Täterschaft einleiten (Art. 299 f. i. V. m. Art. 306 f. StPO). Die gefundene Waffe wäre das verfahrensbegründende Beweisstück. Als solches wäre sie zu beschlagnahmen bzw. sicherzustellen (Art. 263 Abs. 1 lit. a bzw. Abs. 3 StPO) – im Übrigen ein schlüssiger, jedoch weder von der Polizei noch der Rekursinstanz angeführter Grund, dem Händler die gefundene Waffe vorübergehend wegzunehmen.

In der Praxis dürfte der Weg des selbstständigen Einziehungsverfahrens (Art. 376 ff. StPO) realistischer sein. Was letztlich mit der gefundenen Waffe geschähe, hätte nicht die Polizei, sondern die Staatsanwaltschaft oder das Gericht zu entscheiden (Art. 69 Abs. 1 StGB bzw. Art. 377 Abs. 2 StPO). Keinesfalls rate ich einem Polizeibeamten, Beweismittel unbesehen der Vernichtung zuzuführen.

Würde ein Thurgauer Händler also eines Morgens tatsächlich eine unbekannte Waffe vor der Tür seines Ladengeschäfts entdecken, sollte er sie aus Beweissicherungsgründen wohl unberührt liegenlassen und den Fund freiwillig der Kantonspolizei anzeigen, damit diese mit den Ermittlungen beginnen kann. Anzeiger haben das Recht, von der Strafverfolgungsbehörde informiert zu werden, wie ein Strafverfahren erledigt wird (Art. 301 Abs. 2 StPO).