Das Obergericht des Kantons Aargau hatte anlässlich seines Urteils SST.2022.112 vom 17. November 2022 u. a. den Vorwurf zu beurteilen, wonach der Beschuldigte einen Kugelschreiber mit integriertem Messer mit einer Gesamtlänge von 12,5 cm und einer Klingenlänge von 5,5 cm ohne nötige Bewilligung in die Schweiz eingeführt haben soll. Die Vorinstanz sprach dabei von «versteckter Klinge» und ging zudem von unerlaubtem Besitz aus (E. 2.1).
Während dieser „Vorwurf“ vielleicht zutreffen mag, ist doch bemerkenswert, dass die Staatsanwaltschaft, der Beschuldigte, sein Verteidiger und das Bezirksgericht nicht gemerkt haben, dass es sich bei diesem Kugelschreiber bzw. Messer gar nicht um eine Waffe handelt. Obschon die einschlägigen Regelungen klar sind, ist das erst dem Obergericht aufgefallen:
Entgegen der Staatsanwaltschaft und der Vorinstanz weist das vom Beschuldigten im Auto mitgeführte Messer keine Waffenqualität gemäss Waffengesetz auf. Insbesondere verfügt es nicht über einen einhändig bedienbaren automatischen Auslösemechanismus, um es als Messer gemäss Art. 7 Abs. 1 WV zu qualifizieren, und hat auch keine symmetrische Klinge, um als Wurfmesser oder Dolch gemäss Art. 7 Abs. 3 WV zu gelten (vgl. UA act. 445 f.). Unter diesen Umständen kommt dem Umstand, dass das mit einem Kugelschreiber kombinierte Messer – das an einen Brieföffner erinnert (vgl. UA act. 445 f.; Beweisstück) – nicht sofort auch als Messer erkennbar ist, keine selbständige Bedeutung zu, zumal eine eigentlich «Tarnung» nur bei Feuerwaffen im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. e WG relevant ist. Ausgeschlossen ist auch die Annahme einen gefährlichen Gegenstand gemäss Art. 4 Abs. 6 WG zu erkennen, dessen missbräuchliches Tragen eine Beschlagnahme gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. c WG rechtfertigen würde. Ein massgeblicher Unterschied zu einem Taschenmesser wie etwa dem Schweizer Armeetaschenmesser, das gemäss Art. 4 Abs. 6 WG ausdrücklich nicht als gefährlicher Gegenstand gilt, ist nicht auszumachen, zumal auch Taschenmesser vielfach in Hüllen oder Etuis mitgeführt werden.
Urteil des Obergerichts AG SST.2022.112 vom 17.11.2022 E. 2.3
Da das Obergericht die entscheidenden Kriterien aufgezeigt hat, kann ich an dieser Stelle auf deren Wiederholung verzichten.
Die zugrundeliegende Gesetzeskenntnis scheint offenbar kaum geläufig zu sein. Deshalb erlaube ich mir hiermit die Verbreitung der zitierten Erwägung trotz ihrer waffenrechtlichen Trivialität.