Waffentragverbot am Beispiel aus Zürich


Ein Arzt hat um Erteilung einer Waffentragbewilligung ersucht und scheitert trotz Todesdrohungen am Bedürfnisnachweis. Den Zürcher Verwaltungsgerichtsentscheid zum Anlass nehmend, soll das bestehende Waffentragverbot erläutert werden.

Rechtliches

Bis ins Jahr 1999 durfte jeder Kanton das Waffentragen selber regeln. Heute ist das Tragen von Waffen im Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz, WG) normiert. Hierbei ist das Recht auf Waffentragen grundsätzlich gewährleistet:

Das Recht auf Waffenerwerb, Waffenbesitz und Waffentragen ist im Rahmen dieses Gesetzes gewährleistet.

Art. 3 WG

Der Schlüssel zur Aufhebung dieser Gewährleistung wird in Art. 3 WG gleich mitgeliefert: Gewährleistet ist nur, was das Gesetz erlaubt. So schränkt Art. 27 WG ein, wer Waffen in der Öffentlichkeit tragen darf: Generell wird eine «Waffentragbewilligung», auch „Waffentragschein“ genannt, vorausgesetzt. Die gesuchstellende Person erhält eine solche Bewilligung, wenn kumulativ

  • für sie kein Hinderungsgrund nach Artikel 8 Absatz 2 besteht;
  • sie glaubhaft macht, dass sie eine Waffe benötigt, um sich selbst oder andere Personen oder Sachen vor einer tatsächlichen Gefährdung zu schützen;
  • sie eine Prüfung über die Handhabung von Waffen und über die Kenntnis der rechtlichen Voraussetzungen des Waffengebrauchs bestanden hat; das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement erlässt ein Prüfungsreglement.
Art. 27 Abs. 2 WG

Im Wesentlichen muss ein Gesuchsteller also zum Tragen von Waffen geeignet sein sowie das nötige Wissen, die nötigen Fähigkeiten und ein Bedürfnis belegen. Letzteres dürfte das grösste Hindernis sein: Die Anforderungen an den Bedürfnisnachweis sind erfahrungsgemäss hoch. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich zitiert in einem neuen Entscheid:

Ein Bedürfnis zum Waffentragen kann nicht leichter Hand bejaht werden (Michael Bopp/Juliane Jendis in: Nicolas Facincani/Reto Sutter [Hrsg.], Waffengesetz [WG], Bern 2017, Art. 27 N. 26). Eine Waffe kann auch in den Händen eines ehrlichen und rechtschaffenen Bürgers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Im Interesse dieser Sicherheit ist daher die Zahl der Personen, die dazu berechtigt sind, in der Öffentlichkeit eine Waffe zu tragen, klein zu halten und auf solche Personen zu beschränken, für die das Tragen einer Waffe effektiv das geeignetste Mittel darstellt, um sich vor einer tatsächlichen Gefahr wirksam zu schützen (BGr, 1. Mai 2001, 2A.26/2001, E. 3d/bb).

Entscheid des Verwaltungsgerichts ZH VB.2021.00844 vom 10.11.2022 E. 2.2

Die Aussage, wonach eine Waffe in den Händen eines ehrlichen und rechtschaffenen Bürgers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könne, fusst auf einem unveröffentlichten Bundesgerichtsurteil vom 11. Dezember 2000. Entsprechend kann diese Behauptung sowie ihre Herleitung an dieser Stelle nicht überprüft werden. Auch kann hier nicht beantwortet werden, ob eine solche These 22 Jahre später noch Bestand hat.

Ungeachtet dessen hält das Verwaltungsgericht weiter fest:

Die für eine Waffentragbewilligung vorausgesetzte tatsächliche Gefährdung braucht nicht konkret zu sein; es genügt, wenn für den Gesuchsteller aufgrund seiner Aufgabe oder Funktion, seiner Lebensbedingungen oder aufgrund anderer besonderer Umstände ein spezielles Risiko bzw. eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Gefahrensituation besteht. Das Tragen der Waffe muss freilich zum Schutz des Gesuchstellers oder zum Schutz von Dritten geboten erscheinen; es ist nur gerechtfertigt, wenn der Gefahr eines Angriffs nicht auf andere zumutbare Weise begegnet werden kann (BGr, 23. August 2011, 2C_246/2011, E. 3.1 mit Hinweisen). Bei der Beurteilung, ob eine tatsächliche Gefährdung vorliegt, kommt der Verwaltungsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Kognition (oben E. 1.2) nur in reduziertem Mass überprüft wird (VGr, 6. Februar 2020, VB.2019.00437, E. 2.3).

Entscheid des Verwaltungsgerichts ZH VB.2021.00844 vom 10.11.2022 E. 2.3

So bleibt selbst verlässlichen Personen, die ihre Pistole besser beherrschen als Polizisten, das öffentliche Tragen regelmässig verwehrt.

Das öffentliche Tragen einer Waffe ist – unter Ausnahmen (Tragbewilligung aus Art. 27 Abs. 1 und weitere in Abs. 4 WG sowie Rahmenbewilligung aus Art. 27a WG und Nichtanwendbarkeit nach Art. 2 Abs. 1 WG) – verboten und mit Strafe bedroht (Art. 33 Abs. 1 lit. a WG). Dies führt zum interessanten Umstand, wonach das Gesetz das Waffentragen eingangs grundsätzlich gewährleistet und ausgangs grundsätzlich verbietet. Mit Blick auf die Praxis kann heute aber von der Dominanz des faktischen Waffentragverbots gesprochen werden.

Beispielfall aus Zürich

Am Hindernis des Bedürfnisnachweises ist auch ein Arzt in Zürich gescheitert: Der jüngst in Rechtskraft erwachsene Entscheid VB.2021.00844 des Verwaltungsgerichts Zürich vom 10. November 2022 zeigt, wie das Waffentragverbot in praxi durchgesetzt wird.

Ausgangslage

Der Arzt hat im Februar 2021 zum Zweck des Eigenschutzes um Erteilung einer Waffentragbewilligung für eine Faustfeuerwaffe ersucht.

Gemäss Regierungsrat erbringe der Arzt Dienstleistungen für das Staatssekretariat für Migration (SEM), das Bundesamt für Polizei (fedpol) und die Kantonspolizei. Namentlich prüfe er die Hafterstehungsfähigkeit, die Voraussetzungen für die fürsorgerische Unterbringung und die Flugtauglichkeit auszuschaffender Personen. Hierbei werde der Arzt regelmässig bedroht. «So sei ihm etwa bei der Begleitung eines Sonderflugs im Dezember 2020 gedroht worden, man werde ihn finden und ihm die Hände oder den Kopf abschneiden» (E. 3.1). Auch vor Verwaltungsgericht machte der Arzt geltend, «er habe persönlichen Kontakt zu den betroffenen Personen, für die seine Sachverständigenbegutachtung harte Konsequenzen haben könne. Auf jedem Flug werde er verbal und auch regelmässig mit dem Tod bedroht» (E. 3.2).

Das Statthalteramt, der Regierungsrat und schliesslich das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wiesen sein Gesuch bzw. die gegen Ablehnungsentscheide erhobenen Rechtsmittel ab.

Ablehnungsbegründung

Das Verwaltungsgericht begründet das Abweisen der gegen den Regierungsratsbeschluss erhobenen Beschwerde wie folgt:

Diese Einwände vermögen den angefochtenen Entscheid nicht als rechtsfehlerhaft (oben E. 1.2 und E. 2.3) erscheinen zu lassen. Die geltend gemachten Umstände lassen nicht darauf schliessen, dass – ausserhalb seiner beruflichen Tätigkeit, während welcher er unbestrittenermassen ausreichenden polizeilichen Schutz erhält – die konkrete und reale Gefahr eines Angriffs auf den Beschwerdeführer bestünde, der nur mittels Mitführen einer Faustfeuerwaffe begegnet werden könnte. Nach der gesetzlichen Regelung und der Rechtsprechung ist nicht ausreichend, dass einer Gefährdungssituation durch das Tragen einer Waffe grundsätzlich tauglich begegnet werden könnte oder solches subjektiv als erforderlich empfunden wird: Vorausgesetzt ist vielmehr, dass das Waffentragen zum Schutz des Gesuchstellers geboten erscheint, weil der tatsächlich bestehenden Gefahr eines Angriffs nicht auf andere zumutbare Weise begegnet werden kann (oben E. 2.3). Das Bedürfnis des Beschwerdeführers nach Vorkehren für seine persönliche Sicherheit erscheint vor dem Hintergrund der anlässlich von Ausschaffungsflügen regelmässig ihm gegenüber ausgesprochenen Drohungen ohne Weiteres verständlich. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die den Beschwerdeführer auf Sonderflügen bedrohenden Personen ins Ausland verbracht werden und überdies Massnahmen getroffen werden können, seine Wohn- und Aufenthaltsorte vor diesen grundsätzlich geheim zu halten. Auch die den Beschwerdeführer offenbar zur Gesuchseinreichung veranlassende Drohung hat innert bald zwei Jahren nicht zu einer konkreten Gefährdungssituation
geführt
. Demgegenüber steht die mit dem Waffentragen auch bei ausreichenden Kenntnissen des Umgangs mit einer Waffe notwendigerweise einhergehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (oben E. 2.2). Vor diesem Hintergrund ist die vorinstanzliche Ermessensbetätigung mangels Indizien für eine konkrete Gefahrensituation jedenfalls nicht als rechtsfehlerhaft zu beanstanden.

Entscheid des Verwaltungsgerichts ZH VB.2021.00844 vom 10.11.2022 E. 3.3

Würdigung

Der Vorhalt, in den letzten zwei Jahren keine konkrete Gefahr durchlebt zu haben, sowie die zugehörige Gutheissung der vorinstanzlichen Ermessensbetätigung «mangels Indizien für eine konkrete Gefahrensituation» (E. 3.3) scheinen fehlgeleitet, weil eine konkrete Gefährdung doch gar nicht verlangt wird (E. 2.3). Gleichzeitig will das Gericht das Bedürfnis des Arztes nach Vorkehrungen für seine persönliche Sicherheit «ohne Weiteres» als «verständlich» erachten (E. 3.3).

Nachvollziehbar ist die gerichtliche Argumentation, wonach der Arzt keine Waffe benötige, während er polizeilichen Schutz geniesse. Insofern greift auf Rückführungsflügen tatsächlich eine andere Massnahme. Ob das Beiseitestellen der Polizei die bessere Alternative zur Waffentragbewilligung ist, spielt in casu keine Rolle, da begleitete Rückführungen auf dem Luftweg ohnehin durch Polizeiorgane durchgeführt werden (vgl. Art. 27 ff. ZAV).

Für den betroffenen Arzt bleibt jedenfalls zu hoffen, dass schutzpflichtige Begleitpersonen stets rasch reagieren, er seine Wohn- und Arbeitsadresse geheim halten kann, rückgeführte Bedroher bzw. Bedroherinnen nicht in die Schweiz zurückkehren und keine folgsamen Freunde oder Verwandte haben.